Die Geister trauen sich wieder hinaus
Der Sommer geht langsam zu Ende, die Nächte werden länger und dunkler, und Britanniens Geister kommen nach ihrem Sommerschlaf wieder aus ihren Verstecken, um unerschrockene Besucher zu Geistergläubigen zu machen. Die Saison ist eingeläutet, und kaum ein Ort in Großbritannien ist sicher vor den umherwandernden Seelen der bleichen, gehenkten Jungfrau oder des auf Rache sinnenden Hausherrn, der da einst heimtückisch hinterrücks gemeuchelt wurde. Ist man zu Gast in einem der Häuser, in denen es spukt, darf man sich auf eine schlaflose Nacht gefasst machen, wenn die Dame von der Rezeption den Schlüssel zu einem bestimmten Zimmer mit süffisantem Lächeln überreicht. Aber auch in den Straßen Londons ist niemand vor den gefallenen Seelen sicher, und so manches Schloss in England, Schottland oder Wales beherbergt schon seit Jahrhunderten einen Geist …Das Mysteriöse ist Realität in den Straßen Londons, und in den imposanten Schlössern im ganzen Land haben die Seelen unglücklicher Menschen schon vor vielen hundert Jahren eine Heimat gefunden. Aber auch in vielen Unterkünften bucht man den Geist (oft unwissentlich) mit. Man sagt, dass Geister nur an Orten erscheinen, an denen einst entweder große Freude oder großes Leid geschah – etwas was mit Sicherheit auf die Straßen Londons zutrifft. So wird vom Black Dog of Newgate erzählt, der sein Unwesen an einer Wand im Amen Court (nahe St. Paul’s) treibt – an dieser Stelle stand einst das Newgate-Gefängnis: Ein gestaltloser Schatten sei dort erschienen und habe sich an der Wand entlang und über den Hof gezogen, bevor er sich verflüchtigte. In der St. Paul’s Cathedral selbst soll es übrigens seit Jahrhunderten einen Pfeifer geben, der sich hinter dem Nordwesttor verborgen hält.
Noch heute scheint die Geisterdichte im Londoner East End, besonders aber um den Spitalfields Market, auffallend hoch. Das kann nicht verwundern, denn in dieser Gegend trieb Jack the Ripper sein Unwesen. Am 30. September 1888 wurde am Mitre Square (U-Bahn Aldgate) Catherine Eddowes beklagenswertes Opfer des Rippers. Seit diesem Tag kann man die geisterhafte Erscheinung von Catherine jeweils am 30. September genau an der Stelle sehen, an der sie ermordet wurde. Weltweit gilt zudem der Tower von London als der Ort, an dem es am meisten spukt. Kein Wunder bei der Liste von Persönlichkeiten, die im Tower umgekommen sind. Anne Boleyn und Lady Jane Grey wurden hier exekutiert und ihre Seelen geistern noch immer umher. Man kann aber auch sehen, wie Margarete Pole, Gräfin von Salisbury, von einem eine Axt schwingenden Mann verfolgt wird – natürlich wurde sie hier im Tower ermordet. Zwei bemitleidenswerte Prinzen wurden von Richard III. eingekerkert und warden nie wieder gesehen. Die Geschichte von Hampton Court im Südwesten Londons ist nicht minder blutrünstig, der Palast ist daher ein Mekka für Geistersucher – so erscheinen in der Tudor Gallery des Schlosses häufig Jane Seymour und Catherine Howard, beides Frauen von Heinrich VIII.
Die bereits genannte Anne Boleyn wird übrigens nicht nur im Tower von London gesichtet: Nicht verstummen wollen die Stimmen, die behaupten, sie über die Brücke von Hever Castle entschwinden gesehen zu haben. Die Schlösser und Burgen im Süden Englands scheinen sowieso beliebte Orte nicht nur bei Touristen, sondern auch bei Geistern verschiedenster Herkunft zu sein. Scotney Castle in Kent soll das Zuhause eines tropfend nassen Geistes sein, bei dem es sich um die ruhelose Seele eines Steuereintreibers handelt, der von Schmugglern ermordet wurde.
Bemerkenswert ist auch die Geschichte, die sich um Lowther Castle in der nordwestenglischen Grafschaft Cumbria rankt. Sir James, der einstige Besitzer des Schlosses, für den eine Heirat arrangiert worden war, verliebte sich stattdessen in die Tochter eines Bauern. Diese verstarb jedoch nach kurzer Zeit. Um sie immer sehen zu können, ließ er ihren Sarg mit einem Glasdeckel versehen und ihn auf eine Kommode stellen. Er selbst verstarb, ohne geliebt worden zu sein oder betrauert zu werden. Bei seiner Beerdigung soll sein Sarg geschwankt haben, als er in die Erde gelassen wurde. Und noch heute fährt eine geisterhafte Kutsche durch den Schlosspark.
Wales mit seinen vielen Schlössern bietet die perfekte Kulisse für Geistergeschichten aller Art. Castell Coch zum Beispiel bildet den Hintergrund für die traurige Geschichte von Dame Griffith, deren Sohn in ein dunkles, bodenloses Wasserloch fiel und nie mehr gesehen ward. Die Mutter war untröstlich und starb kurze Zeit später an ihrem Kummer. Noch heute wandert ihr Geist ruhelos im Schloss und seiner Anlage herum.
Auch die Schlösser und Burgen Schottlands verfügen häufig über einen Hausgeist. So soll das oberste Stockwerk von Dunrobin Castle Heimat der herumirrenden Seele der Tochter des 14. Earls sein. Ihr Vater sperrte sie immer auf dem Dachboden ein, wenn sie angeblich ungezogen war. Das arme Mädchen versuchte einmal, durch ein Fenster zu entkommen, stürzte jedoch in den Tod. Seit dieser Zeit erscheint es als Geist, der rastlos durchs Schloss streift.
Da Geister aber eher nachts auftreten und die Pforten zu den Burgen und Schlössern dann für Besucher verschlossen sind, sollte man sich wenigstens eine Nacht in einer Unterkunft mit eigenem Geist gönnen. Einschlägige Häuser finden sich in ganz Großbritannien. Es muss nicht unbedingt ein teures Schlosshotel sein, das aufgrund seiner oft jahrhundertealten Geschichte geradezu prädestiniert für die Anwesenheit eines Geistes ist. Auch kleine Inns oder Landhotels werden zum Beispiel von den Seelen einfacher Soldaten oder Seeleute bewohnt, die schon in jungen Jahren ein unglückliches Schicksal ereilte.
Wer unerschrocken ist und nicht an Geister glaubt, sollte auf jeden Fall an einem Ghost Walk teilnehmen, die regelmäßig in Städten wie London, York, Edinburgh oder Cardiff stattfinden, oder bei einem Haunted Weekend mitmachen, um endgültig eines Besseren belehrt zu werden. Detaillierte Informationen zu Geistern in Großbritannien bietet die Website von VisitBritain www.visitbritain.de unter dem Stichwort „Haunted“.
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