7. Februar 2008, Dänemark

Fanø – Eine Insel fast für sich allein

Nur wenige Minuten, nachdem sich die „Fenja“ in Bewegung gesetzt hat, beginnt ein neues Leben: Es riecht nach Salz, nach Meer. Den Industriehafen von Esbjerg im Rücken peilt das kleine Fährschiff ein flaches Eiland an. Zwölf Minuten später hat es seinen Weg durch das flache Wasser des Wattenmeers gefunden und die rotgrüne Betonnung der Fahrrinne hinter sich gelassen. Der Himmel, das Meer und das Schiffsdeck leuchten Ton in Ton in tiefem Blau.

An der Langelinie setzt sich ein Fischerboot in Bewegung. Da und dort ziehen sich Rostspuren wie eine erstarrte Flüssigkeit über den hellblauen Rumpf des Schiffes. Die „Fanø“ schippert mit Touristen zu den Robbenbanken, die sich nördlich zwischen Festland und Insel befinden. Doch manchmal wagen sich die Seehunde auch näher an die Zivilisation, machen sozusagen einen Stadtbesuch. Nur wenige Meter vor der Ortschaft liegen sie dann wie braungraue Steine auf dem Wattengrund und lassen sich wenige Stunden später wieder von der Flut ins Wasser treiben.

Wir lassen Nordby hinter uns und nehmen den Landweg in den Süden. Die zwölf Kilometer lange Strasse und ein Radweg führen an Weiden vorbei, auf der Kühe mit zotteligem Fell und kurzen Beinen grasen. Darauf folgen Heidelandschaften und ein Wald. Die Nordsee im Westen lässt sich in dieser Dünenlandschaft nur erahnen, auch wenn die Insel an den breitesten Stellen nur fünf Kilometer misst.

Sønderho erinnert an diesem Nachmittag an eine schöne Frau, die sich nicht zu rühren wagt. Unsere Schritte auf den Kieswegen zwischen den Häusern wirken laut und grob. Ab und zu hören wir ein Klopfen und Hämmern eines Handwerkers. Sonst ist es still. Wenige Dächer sind mit gelbem Plastikschutz überzogen. Einige Fenster lassen einen Blick auf Renovierungsarbeiten im Inneren zu.

Diese länglichen, einstöckigen Seefahrerhäuser sind der ganze Stolz der Sønderhoninger. Viele Fassaden sind gelb, rot oder rosa gemalt, die Holztüren blau oder grün gestrichen. Hinter kleinen Sprossenfenstern schauen Porzellanhunde aus dem Fenster, stehen kleine Holzmodelle von Segelschiffen oder Trinkgläser und Kerzen. Nichts ist zufällig. Die Reetdächer ziehen sich runter bis zu den Fenstern des Erdgeschosses. Das Ende des Schilfrohrs wirkt wie ein sorgfältig geschnittener Bart.

Viele dieser Häuser wurden Ende des 18. oder im 19. Jahrhundert sowohl hier als auch in Nordby errichtet und sind Zeitzeugen der maritimen Geschichte dieser Insel. Mehr als 1.000 Holzsegelschiffe liefen in dieser Zeitspanne zuerst in Sønderho und später in Nordby vom Stapel, von einer Insel, wo damals kein ernstzunehmender Wald gestanden hatte. Das Holz wurde vom Festland oder von Norwegen importiert.

Der Schiffbau brachte Reichtum auf die Insel, machte arme Insulaner zu Seefahrern von Welt. Heute lockt vor allem Sønderho viele Städter und Künstler an. Die Boutiquen und Kunsthandwerkgeschäfte im Ort sind rar und exklusiv.
Von Sønderho führt der Strandweg nach Westen zur Nordsee. In den Vertiefungen der weitläufigen Dünenlandschaft haben sich Sommerhäuser aus viel Holz und Glas festgekrallt, um auch rauen Winterstürmen die Stirn zu bieten. Einzig das Dünengras beugt sich dem Wind und leuchtet dabei silbern im Sonnenlicht.

Die Westküste Fanøs ist ein einziger Strand. Ganz im Süden sowie auf der weitläufigen, wüstenähnlichen Sandbank im Norden ist der Strand autofrei. Ansonsten darf hier jeder so dicht ans Meer fahren wie er will – am besten mit einem aktuellen Gezeitenkalender. Gut 3.000 Menschen wohnen fest auf der Insel. Dazu kommen rund eine Million Gäste, die jährlich auf Fanø übernachten, die meisten in einem der vielen Ferienhäuser in Rindby. Heute ist der Tourismus die wichtigste Einnahmequelle der Insel. Seit Fanø 2005 auf seiner kommunalen Selbstständigkeit bestand, sind die zahlenden Gäste umso wichtiger geworden.

Im Winter hingegen hat man diesen Strand für sich. Fast zumindest: Vor uns irrt ein Paar auf einer von der Ebbe frei gelegten Sandbank scheinbar ziellos umher. Dick eingepackt mit Mütze, Jacke und wadenhohen Gummistiefeln. Den Kopf gebeugt tasten sie mit ihren Augen den Strand ab. Bernsteinsucher.

Wer den Strand entlang Richtung Norden marschiert, kommt früher oder später nach Rindby Strand. Von hier aus fährt auch der öffentliche Bus den Strand entlang und nimmt wenige Kilometer später bei Fanø Bad wieder die geteerte Strasse Richtung Nordby. In Fanø Bad wurde Ende des 19. Jahrhunderts das erste Nordseebad gebaut. Heute geben einzelne, teils stark verwitterte Villen noch eine leise Idee von dieser Glanzzeit. Anstelle des Kurbades steht ein schmuckloser Terrassenbau aus Backstein: eine der wenigen, grossen Hotelanlagen auf der Insel.

Die Wintertage sind kurz im Norden. Die Brandung der Nordsee scheint mit der einziehenden Nacht immer lauter zu werden. Der Strand leert sich. Die Menschen zieht es in die warmen Häuser. Doch wir ziehen noch einmal aus und streifen durch die Gassen von Nordby. Der Ort ist zwar nicht ganz so makellos schön wie Sønderho, dafür umso lebendiger. In den Vorgärten stehen Fahrräder und Mülltonnen. Die vorhangfreien Fenster lassen Blicke in die Wohnräume zu, wo Menschen bei dezentem Licht beieinander sitzen. Man möchte sich dazu setzen und eine dieser vielen Geschichten hören, die man sich auf der Insel erzählt. Zum Beispiel die von den Hunden an den Fenstern, den bestochenen Beamten von Ribe oder von Fenja und Menja.



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