11. Juli 2010, Rheinland-Pfalz

Jeder zweite Schwimmartikel darf nicht in der EU verkauft werden

Schlechte Qualität, Belastung mit Schadstoffen, abgerissene Kleinteile und Babyschwimmsitze, die keine Sicherheit bieten, sondern sogar Gefahr des Ertrinkens bedeuten: Die Experten des globalen Prüfdienstleisters TÜV Rheinland haben aufblasbare Wasserspielzeuge und Luftmatratzen in beliebten europäischen Urlaubsorten direkt am Strand gekauft und in eigenen Laboren getestet. Das Ergebnis ist alarmierend: Von den 88 geprüften Produkten dürfen innerhalb der Europäischen Union 43 Artikel nicht verkauft werden, weil sie die Anforderungen der grundlegenden Sicherheitsnormen und Kennzeichnungspflichten nicht erfüllen. Größtes Problem ist die Belastung mit Weichmachern, die in 29 Produkten über den für Wasserspielzeug zulässigen Grenzwerten liegt.

„Wer in Urlaubslaune am Strand Luftmatratzen, aufblasbare Schwimmringe oder Schwimmtiere kauft, bekommt dafür oft schlechte Qualität, aber was viel schlimmer ist: Gefahren für die Gesundheit sind im Kauf gleich eingeschlossen – besonders für Kinder“, so Friedrich Hecker, Vorstandsvorsitzender von TÜV Rheinland.

Gekauft wurden alle Badeartikel für 69 Cent bis 19,90 Euro im Mai 2010 direkt an Stränden in Frankreich, Italien und den Niederlanden – dort, wo üblicherweise auch viele Urlauber und Familien mit Kindern Wasserspielzeug oder Luftmatratzen kaufen. Die Prüfungen wurden anschließend in Testlaboren von TÜV Rheinland Quality im niederländischen Eindhoven und von TÜV Rheinland LGA Products im deutschen Nürnberg vorgenommen.

29 Produkte mit Weichmachern belastet

82 geprüfte Produkte sind als Spielzeug einzustufen und so zu testen. Das heißt, sie müssen die Vorgaben der EU-Spielzeugrichtlinie erfüllen. Die Prüfer von TÜV Rheinland fanden in 29 untersuchten Produkten hohe Belastungen mit Phthalat-Weichmachern, die über den für Spielzeug als Grenzwert erlaubten Konzentrationen lagen. Phthalate stehen im Verdacht, hormonell zu wirken und krebserregend zu sein. Technisch sind diese Weichmacher vermeidbar. Den traurigen Rekordwert erzielte ein Delphin, der in Italien gekauft wurde: Bei diesem Produkt betrug der gemessene Wert des Weichmachers DEHP (Diethylhexylphthalat) im Aufblasventil 36 Prozent – zugelassen sind 0,1 Prozent.

Neben den chemischen Analysen der Kunststoffe bei TÜV Rheinland Quality in Eindhoven führten die Prüfer bei TÜV Rheinland LGA Products in Nürnberg mechanische Tests durch. Hierbei geht es insbesondere um das Risiko, dass Kunststoffventile oder andere Teile von kleinen Kindern abgerissen und verschluckt werden könnten. Um das zu kontrollieren, werden genau festgelegte Drehmoment- und Zugprüfungen durchgeführt. Tatsächlich fielen auch bei diesen Tests drei Produkte durch. In solchen Fällen besteht unmittelbare Erstickungsgefahr für Kinder.

Nur geprüfte Schwimmlernhilfen kaufen

Ein weiteres Problem stellt die innerhalb der EU unzulässige und teilweise gefährliche Gestaltung von Schwimmsitzen für Babys und Kleinkinder dar. Sechs solcher Babyschwimmsitze konnten die Fachleute kaufen, obwohl diese in der EU verboten sind. „Solche Produkte sind gefährlich, weil sie den Eltern Sicherheit vorgaukeln, die es gar nicht gibt“, so Hecker. In einzelnen Fällen besteht die Gefahr, dass die Kinder im Wasser sofort kentern, weil der Sitz zu hoch ist und das Kind somit zu weit aus dem Wasser ragt. Genau damit rechnen die Eltern natürlich nicht.

Babyschwimmsitze müssen die Vorgaben für Schwimmlernhilfen erfüllen; sie sind kein Spielzeug, sondern gelten als Schutzausrüstung. Nach der geltenden europäischen Norm EN 13138-3 müssen solche Schwimmsitze unter anderem gewährleisten, dass die Kinder nicht kentern. Auch müssen Hinweise zu Altersgruppe und Körpergewicht der Kinder vorhanden sein. Eine spielzeugähnliche Gestaltung ist bei einem Verkauf in der EU nicht zulässig, damit die Unterscheidung zu normalen Wasserspielzeug auf den ersten Blick möglich ist. Die Fachleute von TÜV Rheinland empfehlen, Schwimmlernhilfen für Babys oder Kleinkinder am besten nicht erst im Urlaub zu kaufen, sondern bereits vor den Ferien und nach genauer Beratung.

Testgrundlagen im Überblick

Die Tests der 88 Artikel wurden im Juni 2010 durchgeführt. Als Prüfgrundlage dienten den Experten nur die Mindestvorgaben europäischer Sicherheitsnormen, die jedes solcher Produkte erfüllen muss, wenn sie innerhalb der Europäischen Union verkauft werden sollen. Dazu zählen insbesondere die Sicherheitsvorgaben für Spielzeug (88/378/EC und EN 71, mechanische Anforderungen), die Chemikalienverordnung REACH 1907/2006 EG (Anhang XVII; Verbot von bestimmten Phthalaten) sowie die Anforderungen und Prüfverfahren für Schwimmsitze, die am Körper getragen werden (EN 13138-3). Es wurden keinerlei abweichenden oder strengeren nationalen Vorgaben für die Prüfungen berücksichtigt.

Ergebnisse in allen Ländern vergleichbar schlecht

Unabhängig vom jeweiligen Einkaufsort sind die Ergebnisse in den verschiedenen Ländern vergleichbar. In Frankreich kauften die Fachleute von TÜV Rheinland 27 Produkte, von denen 16 nicht verkehrsfähig sind. In Italien waren es insgesamt 28 Produkte, 13 fielen durch. Und in den Niederlanden waren 14 von 33 getesteten Produkten nicht zulässig.

Mit dem Test bestätigen sich zudem Ergebnisse von TÜV Rheinland aus dem vergangenen Jahr. Bereits 2009 hatten die Fachleute 25 aufblasbare Bade- und Freizeitartikel für 5 bis 10 Euro direkt am Strand in Griechenland, Italien, Kroatien, Spanien und der Türkei gekauft. Getestet wurde nach den gleichen Kriterien wie in diesem Jahr. 17 der 25 damals geprüften Produkte entsprachen nicht den Anforderungen der geltenden Sicherheitsnormen innerhalb der Europäischen Union, die auch für die in der Türkei gekauften Produkte angelegt wurden. Die gefundenen Mängel waren ebenfalls vergleichbar mit denen in diesem Jahr.

Vorstandsvorsitzender Friedrich Hecker: „Die mangelhafte Sicherheit von billigen Produkten und von Spielzeug ist ein europäisches Problem, kein nationales. Wir haben klare Standards mit den geltenden europäischen Regelungen. Allerdings haben wir keine wirksame Kontrolle der Produkte und damit zu wenig Verlässlichkeit für Verbraucher. Für uns als Verbraucher kann das nur heißen: Bei bekannten Handelsunternehmen oder in Fachgeschäften beraten lassen und kaufen und auf zusätzliche Prüfzeichen achten. Die Politik muss sich die Frage gefallen lassen, ob die Eigenverantwortung der Unternehmen und Märkte in diesem Segment der Billigprodukte tatsächlich ausreicht, wenn eindeutige Regeln ebenso eindeutig missachtet werden.“ (TÜV Rheinland)



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