7. Dezember 2010, Reiseführer

Baedeker-Reiseführer feiern 175. Geburtstag

Mit der „Rheinreise von Mainz bis Köln“ erschien 1835 der erste Baedeker-Reiseführer mit dem Verlagsgründer Karl Baedeker als Autor. Die von ihm in den folgenden Jahren entwickelte Gliederung seiner Bände bildet bis heute das Grundgerüst eines jeden Reiseführers. Baedeker hat den Reiseführer nicht nur mit-, sondern in seiner 175-jährigen Geschichte immer wieder neu erfunden. So sind auch die herausnehmbare Karte oder der vierfarbige Druck zu Standards in der Branche geworden. Heute ist der Name Baedeker national wie international ein Synonym für den Begriff Reiseführer.

„I am in Tate Modern with no Baedeker. Nor Lonely Planet, Rough Guide, Time Out or any other type of guidebook.“ So beginnt die Financial Times im August 2010 einen Artikel über den Reiseführermarkt und stellt die Verhältnisse klar: Nach dem Baedeker kommt erst einmal ein Punkt, zumindest wenn es um intelligentes Wissen für unterwegs geht. Der Artikel zeigt zugleich, dass man Reiseführer auf der ganzen Welt mit dem Namen Baedeker verbindet. Denn Baedeker-Bände sind heute ein Stück Kulturgeschichte: Lawrence von Arabien hatte ihn im Gepäck, berühmte Literaten benutzten und zitierten ihn reihenweise, Adolph von Menzel hat ihn gemalt und „Tod auf dem Nil“ mit Peter Ustinov ist eines seiner filmischen Denkmäler. Immer wo das Buch mit dem markanten roten Einband erscheint, signalisiert es: Hier kann sich ein Reisender auf seinen Begleiter verlassen – und das seit über 175 Jahren. Denn seit Karl stehen Baedeker-Führer auch für Exaktheit, worauf u.a. die vielzitierte Librettostelle aus Jacques Offenbachs „La Vie Parisienne“ anspielt: „Kings and governments may err but never Mr. Baedeker.“

Der 1801 in Essen geborene Karl Baedeker stammt aus einer alten Buchdrucker und Verlegerfamilie. Während Karl 1817 eine Buchhändlerlehre in Heidelberg beginnt, vollendet gleichzeitig in Weimar Johann Wolfgang von Goethe die Niederschrift der Erinnerungen an seine „Italienische Reise“. Reisen ist bis dahin hauptsächlich ein Privileg der Adligen. Das wandelt sich durch die aufkommende Motorisierung. 1827 eröffnet die „Preußisch Rheinische Dampfschifffahrt“ eine Schiffsverbindung zwischen Köln und Mainz; bald zieht das malerische Rheintal erste Besucher aus Frankreich und England an. Im selben Jahr gründet Karl Baedeker 1827 in Koblenz seine Verlagsbuchhandlung. Als er 1832 den Verlag von Friedrich Röhling übernimmt, findet sich in dessen Bestand auch der 1828 erschienene Band „Rheinreise von Mainz bis Cöln. Handbuch für Schnellreisende“ des Historikers J.A. Klein. Nach dem Tod Kleins überarbeitet Baedeker das Reisehandbuch grundlegend, sodass dessen dritte Auflage von 1835 als erster echter Baedeker gelten kann. Auch sein nächstes Buchprojekt zielt auf den Fremdenverkehr und ist heute in ähnlicher Form fast in jeden Reiseführer integriert: Das „Conversationsbuch für Reisende“ von 1836 übersetzt nützliche Dialoge und Phrasen in vier Sprachen, etwa „Sind die Postillone grob? Nein, nie, wenn man sie gut bezahlt.“ oder „Ich wünsche einen Diamant, der viel Ansehen hat und wenig kostet.“

Überhaupt ist die Anfangsphase der Reiseführer eine internationale Angelegenheit, weshalb Baedeker, um marktfähig zu bleiben, die Schreibweise seines eigentlichen Namens von Bädeker in Bædeker abwandelt. Die französische Ausgabe der Rheinreise druckt Baedeker 1832 nach. Bei englischen Gästen sieht man dann ab 1836 vermehrt die sogenannten „Red Books“, die John Murray in London herausgibt. Mit diesem steht Baedeker bald in freundschaftlichem Briefverkehr, doch gleichzeitig ist Murray Konkurrent auf einem wachsenden Markt, denn auch die in ganz Europa aufkommenden Eisenbahnen führen zu einer weiteren Demokratisierung des Reisens. Baedeker denkt deshalb seine Reiseführer in Richtung einer praktischen Handhabung weiter. Er entwickelt eine bis heute gültige Struktur, die die Bände in „Praktische Hinweise“, eine „Allgemeine Übersicht“ sowie einer Beschreibung der „Merkwürdigkeiten“ gliedert und mit genauen Karten versieht. In dieser neuartigen Struktur erscheinen 1839 die Bände „Belgien“ und „Holland“ sowie die dritte Auflage der Rheinreise – der moderne Reiseführer ist geboren. Mit der dritten Auflage von „Deutschland und der Oesterreichische Kaiserstaat“ führt er 1846 die Kategorisierung der Sehenswürdigkeiten mit maximal zwei Sternen nach ihrem Schauwert ein, eine unverändert gebliebene Skala. Es ist außerdem der erste Band mit rotem Einband, bis heute ein charakteristisches Markenzeichen der Reihe. Aus Karl Baedekers Feder folgen noch die Bände Schweiz und Paris (1855). Sein liebstes Reiseziel ist die Schweiz: Dieser Band erscheint erstmals 1844 und wird mit 39 überarbeiteten Auflagen bis 1937 zum beständigsten Werk in der Geschichte der Marke. Mit dem Schweiz-Baedeker reist Ende des 19. Jahrhunderts auch Mark Twain: „Das Abendessen erwärmte uns, und wir gingen sofort zu Bette – d. h. nachdem ich an Bädeker noch einige Zeilen geschrieben hatte. Derselbe ersucht nämlich die Touristen, ihn auf etwaige Irrtümer in seinem Reisehandbuch aufmerksam zu machen. Ich schrieb ihm, daß er sich, indem er den Weg von Wäggis bis zum Gipfel nur zu 3 ¼ Stunden angebe, just um drei Tage geirrt habe.“ Von Mark Twains humoristischer Übertreibung einmal abgesehen zeigt der Passus auch, dass das Feedback der Leserschaft an die Redaktion vielleicht ebenfalls eine Erfindung Baedekers ist. 1859 stirbt Karl Baedeker. Das Todesjahr teilt er übrigens mit einem anderen großen Reisenden seiner Zeit, Alexander von Humboldt.

Nach dem Tod Karl Baedekers wird der Verlag zunächst von den zwei älteren Söhnen geführt, die u.a. 1861 die erste englische Ausgabe eines Bandes auf den Markt bringen. 1869 übernimmt dann Fritz, der jüngste der drei Söhne. Unter seiner Führung wird der Firmensitz 1872 von Koblenz in die Verlagsstadt Leipzig verlegt, von wo aus er der Marke zum internationalen Durchbruch verhilft. 1875 erscheint hier der erste außereuropäische Band „Palästina und Syrien“. Wie geschickt Baedeker im internationalen Geschäft agiert, zeigt die Tatsache, dass der erste Band „Nordamerika“ 1893 zuerst in englischer Sprache erscheint. Unter Fritz Baedekers Leitung, die bis 1925 andauert, entstehen zahlreiche Bände, die heute begehrte Sammlerobjekte sind, wie etwa der erste Gesamtband „Ägypten“ von 1897. Die Verpflegungsliste für eine Nilreise schlüsselt detailliert auf, was drei Personen an Lebensmitteln für zwei Monate benötigen – darunter 166 Flaschen Wein. Für die Besteigung der Cheopspyramide empfiehlt er die schiebende und ziehende Unterstützung von zwei angemieteten Beduinen: „Man nehme ihre Hilfe ganz ordentlich in Anspruch, lasse sich aber durch ihr Geschrei nicht irre machen („Iskut wallâ mâfiîsch bakschîsch“ heißt „schweig oder du erhältst kein Trinkgeld“).“ Die Bedürfnisse der Reisenden hat Baedeker auch im 1914 erschienenen Band „Indien“ im Blick. Die Reiseapotheke sollte etwa „gegen Durchfall ein Abführmittel, etwas Opium“ enthalten. Wer es bequem mag, muss ein „vollständiges Bett“ mitnehmen, wobei zu Bedenken gegeben wird: „Damit vergrößert sich das Reisegepäck allerdings sehr erheblich.“ Immer gilt es, den Reisenden bestmöglich vorzubereiten und unangenehme Überraschungen zu ersparen.

Die Wirtschaftskrise und die beiden Weltkriegen führen zu einem Niedergang des Verlags. Zwei Ereignisse aus dieser Zeit sind trotzdem erwähnenswert: So enthält der Ägyptenband von 1928 als allererster eine Beschreibung des Grabs von Tutanchamun, das Howard Carter erst sechs Jahre zuvor entdeckt hatte. Und im Jahr 1938 erscheint der erste Autoreiseführer der Welt „Band I Deutsches Reich“. Nach der Zerstörung der Leipziger Zentrale 1943 wird die Arbeit vorübergehend eingestellt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstehen zwei Verlage. Der 1948 von einem Urenkel gegründet Verlag „Karl Baedeker“ in Freiburg spezialisiert sich vor allem auf Regional- und Stadtführer. Parallel dazu wird 1951 in Stuttgart unter Mitwirkung des Kartografen und Verlegers Kurt Mair „Baedekers Autoführer-Verlag“ ins Leben gerufen. Mit exakten Karten und einem routenorientierten Konzept werden dessen Bände der neuen Mobilität gerecht. Ende der 1960er-Jahre steigen Touristen auch in das Flugzeug. Wieder ist ein neues Reiseführerformat gefordert und wieder erfindet sich der Baedeker neu.

1974 erscheint im zwischenzeitlich nach Kemnat umgezogenen und 1987 mit dem Freiburger Verlagsteil wiedervereinigten Stuttgarter Verlagsteil „USA“ als erstes überseeisches Reiseziel nach dem Krieg im klassischen Aufbau und in einem kompakten Format. Der Band bildet die Grundlage für die ab 1979 erscheinenden „Baedeker Allianz Reiseführer“. Sie sind die ersten Reiseführer, die über eine detaillierte und herausnehmbare Extrakarte zu den jeweiligen Zielen verfügen und durchgehend vierfarbig gedruckt werden. Auf dem Grundkonzept dieser Bände wird der Baedeker – ganz im Sinne des Gründers – bis heute konsequent weiterentwickelt und an die sich verändernden Wünsche der Leser wie der Reisenden angepasst. Heute umfasst das von Chefredakteur Rainer Eisenschmid und seinem Redaktionsteam betreute Verlagsprogramm 160 Titel. Seit 2005 sind ausklappbare 3D-Darstellungen fester Bestandteil der Bände und seit 2010 widmet sich ein zusätzlicher „Special Guide“ ausführlich einem destinationsspezifischen Thema. Selbstverständlich gehen Special Guide und Bände verstärkt auf nachhaltigen Tourismus ein, ein Thema, auf das immer mehr Reisende großen Wert legen. Für dieses Engagement wurde beispielsweise der Baedeker Namibia im November mit dem „signaTOUR 2010 – Medienpreis für einen Tourismus der Zukunft“ ausgezeichnet. Außerdem arbeitet Baedeker mit atmosfair, einer Klimaschutz-Organisation, die die CO2-Kompensation von Flügen anbietet, zusammen.

Seit 2010 sind die Bände Argentinien und Deutschland Ost neu im Programm, 2011 folgen Südschweden/Stockholm, Frankreich/Der Norden und Zürich. Baedeker-Reiseführer erscheinen auch auf Englisch, Italienisch, Polnisch oder Tschechisch. (KARL BAEDEKER VERLAG)



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