14. Januar 2011, Sylt

Sylter Küstenschutzwanderung mit dem Geologen Arfst Hinrichsen

Tosende Brandung nagt am Strand, Wellen krallen sich ins Rote Kliff. Ist Sylt noch zu retten? Ja, sagt der Geologe Arfst Hinrichsen: Sylt geht es besser denn je. Was dafür getan wird, erfahren die Teilnehmer seiner Küstenschutzwanderungen.

„Immer dort, wo zwei Welten aufeinander treffen, kann es bekanntlich Probleme geben. Wenn sich Wasser und Land begegnen, stellt sich die Frage, wer von den beiden stärker ist und sich durchzusetzen vermag.“ Arfst Hinrichsen spricht laut und deutlich zu einer Gruppe von Sylt-Besuchern am Strand von Westerland. Das ist auch notwendig, denn auf der Route „Westerland“, einer Küstenschutzführung, die heute bei rauen Wetterverhältnissen über zwei Kilometer von der Himmelsleiter zur Nordsee-Klinik führt, lautet die Frage auch: Wer ist der Stärkere – Wind oder Mensch? „Aber gerade das ist das Interessante an einer Küstenschutzführung“, sagt Hinrichsen. „Hier kann man etwas sehen, am eigenen Körper erfahren, es erfühlen, dagegentreten oder dagegenspucken.“ Letzteres kann man, muss man aber natürlich nicht.

Hinrichsen, geboren und aufgewachsen auf Föhr, ist einer jener Menschen, denen kein Wind und kein Wetter etwas anhaben kann. Vor allem aber ist er Geophysiker, Meteorologe und Geologe und als solcher seit 1991 beim Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz (LKN) tätig: Dort analysiert er den Zustand der schleswig-holsteinischen Küsten und wertet Veränderungen aus. In seiner Freizeit bietet er gemeinsam mit dem Sylter Heimatverein, der „Söl’ring Foriining“, zweistündige Wanderungen zum Thema Küstenschutz an – der richtige Mann also, wenn es darum geht, ob und wie Sylt zu retten ist.

Jährlich verliert Sylt eine Million Kubikmeter Sand ans Meer. Kein Watt und keine Inseln legen sich schützend vor die Westküste – hier trifft die Nordsee unmittelbar auf das Festland. Als letzter Außenposten der friesischen Uthlande – was so viel heißt wie: Außenland – ist Sylt selbst ein Wellenbrecher für das Festland. Dahinter kommt lange Zeit nichts – außer Wind und Wellen. Und die machen der Nordseeinsel seit Jahrhunderten zu schaffen.

Schon bei der großen Flut vom November 1981 war das Thema kein neues. „Küstenschutz wird hier seit 300 Jahren betrieben“, sagt Hinrichsen, um gleich noch viel tiefer in die Geschichtskiste zu greifen: „Sylt entstand aus Ablagerungen während der vorletzten Eiszeit, die vor etwa 125.000 Jahren zu Ende ging. Darauf folgten eine Zwischenwarmzeit und schließlich wieder eine Eiszeit, die von einer Meeresspiegelabsenkung begleitet wurde. Als der Meeresspiegel nach dem Jahr 1000 wieder anstieg, versanken Marschländereien und Häuser in den Fluten, so dass sich die Menschen auf die Siedlungsflächen der höher liegenden Gebiete zurückzogen.“ Ab dem 14. Jahrhundert war Sylt endgültig vom Festland abgetrennt und den Launen des Klimas ausgesetzt: Sand kam in Bewegung, türmte die Dünen auf und bedeckte die Ackerflächen. Man pflanzte Strandhafer, der den Sandflug stoppen sollte. Dennoch wurden Alt-Rantum und Alt-List komplett begraben. Hinrichsen: „Sand und Wasser haben eines gemeinsam: Sie kommen überall hin.“

Zum Wasser indes konnten die Menschen noch Abstand halten. Das änderte sich um 1850, als der Tourismus seine zaghaften Anfänge nahm. „Nun rückten die Menschen näher ans Wasser und erkannten die Bedeutung des Küstenschutzes.“ Konzepte gab es im Laufe der Jahrzehnte viele. 1868 begann man, Vordünen zu errichten und ebenfalls mit Strandhafer zu bepflanzen. Buhnen wurden im rechten Winkel zum Strandverlauf ins Meer hineingebaut, um die Wellen zu brechen und ihnen die Energie zu nehmen.

Hinrichsen weist auf die Nordsee hinaus – noch heute kann man Buhnen überall an Sylts Westküste sehen, teilweise drei, vier verschiedene Baustoffe nebeneinander. „Die ersten waren aus Holz, die aus den 20er-Jahren aus Stahl, und in den 30ern entdeckte man den Beton. Am Baustoff der Buhnen kann man die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands nachvollziehen.“ 100 Jahre, von 1868 bis 1968, dauerte die Zeit der Buhnen, bis man feststellte: „Der Rückgang der Insel kann so nicht aufgehalten werden.“

Hinrichsen steht an der Ufermauer von Westerland. „Auch damit hat man es versucht, mit so genannten Längswerken. Die erste Ufermauer wurde 1907 gebaut – 1911 war sie kaputt. Man baute eine neue, größere, längere, mit einer Promenade obendrauf – 1946 stürzte sie ein.“ Zudem haben Längswerke einen Nachteil: „Das Wasser wird von der Wand zurückgeworfen und nimmt auf dem Weg zurück ins Meer den Sand mit sich. So werden die Strände nach und nach abgetragen.“

Erst mit Beginn der Sandaufspülungen im Jahre 1972 kehrte der Strand vor Westerland zurück. Seit 1983 werden diese Maßnahmen jährlich durchgeführt. „In knapp 30 Jahren hat man damit gewaltige Erfolge erzielt. Das Meer trägt jedes Jahr etwa eine Million Kubikmeter Sand ab, der Mensch holt ihn sich wieder zurück.“ Und zwar aus „Westerland 2“, etwa sieben Kilometer vor der Küste Sylts. Das Prinzip ist einfach und kann alljährlich zwischen April und Oktober beobachtet werden: Lange Rohre transportieren ein Gemisch aus Sand und Wasser aus dem Meer an den Strand, Bagger verteilen den Sand. Nach Abschluss der Arbeiten im Frühherbst werden aus einem Flugzeug heraus so genannte Laserscans vorgenommen und der Zustand der Küsten ermittelt.

Als das Ziel der Küstenschutzwanderung, der Strandübergang 38, erreicht ist, greift auch Hinrichsen auf moderne Technik zurück: Er zieht ein kleines Gerät aus der Tasche – ein Smartphone. „Andere nehmen das zum Telefonieren, ich habe hier die aktuellen Ergebnisse unserer Messungen vom 29. September 2010 gespeichert.“ Auf dem kleinen Bildschirm zeichnet sich eine feine Linie ab: die Westküste Sylts. Zahlen zeigen an, wie viel Sand in den vergangenen Jahren an welchen Stellen aufgeschüttet wurde. Kaum zu entziffern für den Laien, für den Experten eine Wissenschaft für sich: Hinrichsen ist ein wandelndes Lexikon des Küstenschutzes. Man nenne ihm einen Ort, er kennt den Zustand der Küste. Das Rote Kliff? „Wirkt wie ein Querwerk. Das Wasser wird zurückgeworfen und nimmt den Sand mit sich.“ Hörnum? „Der Anstieg des Tidenhubes sorgt hier für sehr hohe Strömungsgeschwindigkeiten.“ Westerland? „Liegt sehr exponiert. Was wir hier aufspülen, bleibt am längsten im Sylter System.“ Will sagen: Westerland ist der ideale Ort für Aufspülungen. Der Sand wird von der Brandung abgetragen und von der Strömung entlang der Küste weiter transportiert. Erst im äußersten Norden und Süden der Insel verschwindet er dann in den Untiefen vor der Küste.

„Sandaufspülungen funktionieren also wie eine Eiszeit“, fasst Hinrichsen zusammen. Sie sind nur nicht so kalt und mit Kosten von knapp sechs Millionen Euro jährlich nicht gerade billig. Doch äußerst wirkungsvoll. „Heute ist die Situation an Sylts Küsten besser als je zuvor“, erklärt der Geologe und ist sich sicher: So schnell, wie noch in den 80er-Jahren befürchtet, werde Sylt nicht untergehen: „Ganz bestimmt nicht in nächster Zeit. Vielleicht in tausend Jahren.“

Insgesamt sechs Küstenschutzführungen bietet Arfst Hinrichsen in diesem Jahr an. Tickets gibt es in allen Sylter Tourismusbüros. Im Teilnehmerbeitrag von zehn Euro sind der Rücktransport zum Ausgangsort mit öffentlichen Verkehrsmitteln und der Strandzugang enthalten.

Alle Termine und Routen gibt es im Internet auf www.sylt.de und www.hinrichsen-nf.de.



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