27. April 2012, Kopenhagen, Reisereportagen

50. Jubiläum für Kopenhagens Einkaufsstraße Strøget

Schauen und kaufen, sehen und gesehen werden, einfach nur flanieren und einen entspannten Tag genießen – an und um Kopenhagens Einkaufsmeile Strøget schlägt der Puls der dänischen Hauptstadt. Hier treffen sich Kopenhagener und Cityreisende aus aller Welt. Und unzählige Schulklassen, aus der dänischen Provinz und aus ganz Europa. Und das seit genau 50 Jahren. Auf dem Rathausplatz bin ich mit Inger Wiene verabredet. Die studierte Ethnologin arbeitet seit rund 20 Jahren am Københavns Museum, nur wenige Minuten entfernten In-Stadtteil Vesterbro. Zu unserer Verabredung kommt die Forscherin, typisch dänisch, per Fahrrad. Ingers Arbeitsschwerpunkt ist das Kulturerbe ihrer Heimatstadt, vor allem die Stadtgeschichte. „Und Strøget ist ein fester Teil davon“, weiß die mobile Dänin.

Schon in ihren Anfängen ist Strøget ein echter Trendsetter: Denn bei ihrer Eröffnung am 17. November 1962 war die Straße, die vom Rathausplatz bis zum Platz Kongens Nytorv verläuft, als erste Fußgängerzone im Königreich und eine der ersten in ganz Europa. Seinen Spitznamen hatte Strøget – das die kleinen Altstadtgassen Frederiksberggade, Nygade, Vimmelskaftet und Østergade sowie die Plätze Nytorv, Gammeltorv und Amagertorv umfasst – jedoch schon seit dem 19. Jahrhundert. Strøget heißt: der Strich. Zuvor nannten die Einheimischen sie schlicht „die Route“. Vor der Umwandlung zur autofreien Zone lagen heftige, jahrelange Diskussionen zwischen Einzelhändlern und Lokalpolitikern. Viele Händler befürchteten einen Einbruch ihres Umsatzes. Nicht ganz zu unrecht, denn immerhin war Strøget damals die meist befahrenste Straße des ganzen Landes. Darum war die Einrichtung einer Fußgängerzone anfangs nur ein Versuch – der jedoch nach erfolgreichem Start schon 1964 endgültig wurde.

Heute ist Strøget gemeinsam mit den umliegenden Straßen wie Strædet längst ein Wahrzeichen von Kopenhagen und so bekannt wie Kleine Meerjungfrau und Tivoli. „Aber eigentlich liegen hier zwei Welten“, sagt Inger Wiene, „eine bunte, internationale für Kopenhagenbesucher. Und eine eher stille – das ist die, die wir Kopenhagener selbst gern nutzen.“ Das möchte ich mir von der 56-jährigen Inger genauer zeigen lassen – und lasse mich zu einem Strøget-Rundgang mitnehmen.

Die Strøget beginnt am Rådhusplads
Los geht’s gleich, wo Strøget als Frederiksberggade in den Rådhusplads einmündet. Auf den ersten Metern bestimmen zahlreiche Kioske, internationale Fastfoodrestaurants und bunte Souvenirshops das Bild. „Ich bezeichne diesen Abschnitt gern als tivoliartig – hier ist es zu bunt, zu touristisch, fast wie in jeder anderen Metropole der Welt“, meint Inger Wiene. Einzige Ausnahme ist das Traditionsgeschäft der 1811 gegründeten Handschuhmanufaktur Randers Handsker.

Wenige hundert Meter weiter öffnet sich Strøget in einen großen Platz. „In zwei Plätze“, korrigiert die Stadtforscherin, „dies sind Gammeltorv und Nytorv – Altmarkt und Neumarkt.“ Beide lagen im Mittelalter unweit der Stadttore, durch die die Bauern aus dem Umland kamen, um hier in der Stadt frische Waren wie Gemüse, Obst oder Vieh anzubieten. In vielen Hinterhöfen seien die Ställe von damals, etwa für Pferde, noch heute zu erkennen, so Inger.

Auf dem Nytorv lagen vor dem verheerenden Stadtbrand von 1795 das alte Rathaus und der Gerichtsplatz, auf dem Strafen öffentlich verhängt wurden. Die Umrisse des alten Rathausfundaments sind jetzt im Boden nachgezeichnet. Heute trinkt man hier Kaffee und genießt den Trubel. Häuser dürfen hier und im historischen Zentrum von Kopenhagen nur maximal fünf Stockwerke haben. Darüber hinaus schreibe altes Baurecht vor, dass Neubauten hier keine rechtwinkligen Ecken haben dürfen – vielmehr müssen sie abgeschrägt sein, damit Löschfahrzeuge problemlos abbiegen und reibungslos durch die engen Gassen und Straßen flitzen können.

Von Gammel- und Nytorv zum Amagertorv
Wir verlassen die Plätze und folgen Strøget weiter, die auf den nächsten Metern eigentlich Nygade und Vimmelskaftet heißt. Hier wandelt sich das Bild – die Geschäfte werden zurückhaltender, die Schaufenster weniger trendig, stiller. „Gleich sehen wir noch klassische Kopenhagener Geschäfte, die schon seit Jahrzehnten fest zum Bild der Fußgängerzone gehören“, so Inger, und die auch von Kopenhagenern angesteuert werden. Das Bekleidungsgeschäft Kaufmann beispielsweise, das Anfänge in den 1920er Jahren hat. Das Taschengeschäft Neye. Oder Nørgaard på Strøget, ebenfalls ein Modeklassiker, das seit 1986 für höchste Qualität steht. Wenig später folgt linkerhand die einstige Klosterkirche Helligåndskirken, deren Ursprünge im 13. Jahrhundert liegen. Straßenmusiker und Gaukler sorgen im Sommer auf diesem Abschnitt für Unterhaltung. Dann öffnet sich Strøget wieder zu einem belebten Platz: Amagertorv, der seinen Namen nach den Bauern von der vorgelagerten Insel Amager hat, die einst hier ihre Waren feilboten. Einer der Lieblingsplätze von Inger Wiene.

Am Amagertorv gibt es viel zu erzählen – und viele traditionsreiche Kopenhagener ›Institutionen‹. „Dort zum Beispiel liegt der Flagship Store von Royal Copenhagen, die weltberühmte Porzellanmanufaktur ist Königlicher Hoflieferant“, zeigt Inger. Das historische Renaissancegebäude aus dem Jahr 1606 gelte als ältestes profanes Gebäude der dänischen Hauptstadt. Gleich nebenan verkauft die dänische Silberschmiede Georg Jensen ihre zeitlos schönen Dinge. „Und auf der anderen Seite“, Inger zeigt nach links, „liegt Illums Bolighus“. Das 1925 gegründete Einrichtungshaus gilt als erste Adresse für alle, die auf der Suche nach dänischem Design, Möbelklassikern oder Einrichtungsverführungen für daheim sind.

Doch der Amagertorv, an dem Cafés wie das Europa und das Norden von den ersten warmen Frühlingstagen bis weit in den Herbst zu fast mediterranen Straßencafé-Pausen einladen, hat auch unruhige, ja wilde Tage erlebt. In den 1960er Jahren war der bronzene Storchenbrunnen (dän. Storkespringvand), 1894 anlässlich der Silberhochzeit von Frederik 8. und seiner Frau Louise eingeweiht, Treffpunkt der Kopenhagener Hippies und Freigesinnter aus aller Welt. Inger Wiene: „Sie machten Musik und rauchten öffentlich Hasch – das erboste natürlich die Bürger und führte zu mehr als einer Auseinandersetzung mit der Polizei“. Heute ist die Atmosphäre am Brunnen entspannt, Schüler scheinen in der Mehrheit.

Die Popularität der Strøget wird Strædet nie erreichen
Uns zieht es weiter. Nur noch fünf Minuten etwa benötigen wir für das letzte Stück, ehe Strøget am Kongens Nytorv – mit dem Königlichen Theater, dem Kaufhaus Magasin du Nord und dem Hotel d’Angleterre – endet. Die Østergade, wie Strøget hier heißt, wartet auf ihren letzten Metern mit einem attraktiven Mix aus internationaler Mode und dänischem Design auf, etwa Brillen von Poul Stig, schlicht-schicken Uhren von Ole Mathiesen oder dem Juwelier Halberstadt von 1846. „Dies war seinerzeit eines der ersten Kopenhagener Geschäfte mit Schaufenstern, wie wir sie heute kennen“, weiß Inger. „Denn bis dahin ging man meist auf Märkten einkaufen – da sah man, was man kaufte.“

Inger Wiene und ich machen uns auf den Rückweg zum Rathausplatz. Dieses Mal nicht durch das Gewusel der Shopping- und Schaulustigen auf Strøget, sondern durch die parallelen Seitengassen Lille Kongensgade, Læderstræde und Kompagnistræde. Der Strædet genannte Straßenzug ist stiller als sein großer Nachbar. „Genau das ist aber der Grund, warum hier mehr Kopenhagener zu finden sind, als auf Strøget“, sagt Inger Wiene. „Die Geschäfte sind nicht international, sondern klein und fein. Antiquariate oder Antikgeschäfte. Oder Spielzeuggeschäfte und Mode für Kinder. Auch die Cafés und Restaurants sind nicht so überlaufen“. Doch die Popularität der „großen Schwester“ Strøget wird Strædet nie erreichen. Auch in den nächsten 50 Jahren nicht. (Christoph Schumann / visitdenmark)



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