26. Juli 2012, Deutschland

Mangel an LKW-Fahreren gefährdet Verkehrssicherheit

In Deutschland herrscht ein eklatanter Mangel an Lkw-Fahrern. Die Rekrutierung von geeignetem Fahrpersonal stellt die Unternehmen der Transport- und Logistikbranche vor immer größere Probleme. Und die Lage spitzt sich dramatisch zu. Das weist die aktuelle, repräsentative Studie von TÜV Rheinland „Wer fährt die Trucks von morgen – Nachwuchs- und Fahrermangel in der Bundesrepublik Deutschland“ erstmals eindeutig nach. Bei der Studie wurden bundesweit Spediteure befragt.

„Rund 84 Prozent der befragten Betriebe bestätigen, dass es in den letzten Jahren einen spürbaren Mangel an qualifizierten Berufskraftfahrern gibt“, erklärte Prof. Dr.-Ing. Jürgen Brauckmann, Vorstand Mobilität TÜV Rheinland, bei der Vorstellung der Erhebung im Rahmen des siebten TÜV Rheinland-TruckSymposiums am 13. Juli auf dem Nürburgring. „Wenn die Situation weiter eskaliert, und es spricht vieles dafür, steht auch die Verkehrssicherheit auf dem Spiel“, befürchtet Prof. Brauckmann. Denn verstärkter Stress und Überlastung der Fahrer durch Personalmangel erhöhe die Unfallgefahr. Schon heute fahren viele Lkw-Lenker am physischen und psychischen Limit.

Auch die Politik müsse handeln, fordert Prof. Brauckmann als Konsequenz aus der Studie. So seien etwa Ausbildungsvergütungen für Betriebe, die den Fahrernachwuchs fördern, denkbar. Zudem könnten entsprechende Rahmenbedingungen für einen qualifizierten Lehrberuf inklusive schulischer Begeleitung den Job für junge Leute attraktiver machen. „Man sollte nicht hoffen, dass ausländische Speditionen oder aber Lang-Lkw hier eine spürbare Entlastung im Fahrerbedarf bringen“, sagt Prof. Brauckmann.

„Es ist viel schwieriger geworden, gute Fahrer zu finden. Ein Mangel ist definitiv da“ (Befragter)

Etwa die Hälfte (47 Prozent) aller befragten Unternehmen ist laut der TÜV Rheinland-Studie aktuell direkt vom Fahrermangel betroffen. Knapp drei Viertel geben an, dass ihnen ein bis drei Fahrer fehlen. Bei mehr als jedem vierten Logistikbetrieb fehlen sogar mehr als fünf Lkw-Chauffeure.

Einschätzung der Problematik Fahrermangel
Die Intensität des Wettbewerbs um qualifiziertes Personal verstärkt sich zusehends, eine hohe Fluktuation beim Personal beziehungsweise eine starke Wechselbereitschaft von Seiten der Fahrer ist in den meisten Betrieben Alltag. Bei über 90 Prozent der befragten Unternehmen gibt es eine „eher stark“ beziehungsweise „stark“ ausgeprägte Fluktuation. Lediglich neun Prozent geben an, dass die Fluktuation „eher niedrig“ bis „niedrig“ sei.

Rund 36 Prozent stehen bei der Rekrutierung im direkten Wettbewerb mit anderen Speditions- und Transportunternehmen ihres eigenen Bereichs. Etwa 30 Prozent konkurrieren mit Subunternehmen oder regionalen Zubringern. Ein Fünftel sieht sich in Konkurrenz zum Werksverkehr. Zudem lässt sich ein verstärkter Zufluss von Fahrpersonal aus Osteuropa nachweisen. Knapp jedes zweite Unternehmen gibt an, dass eine solche Tendenz erkennbar ist. Mehr als 80 Prozent bewerten die aktuelle Nachwuchssituation als „eher schlecht“ (31 Prozent) bis „schlecht“ (53 Prozent). Nur sechs Prozent schätzen die Lage als „gut“ ein.

Gründe für den Mangel an qualifiziertem Fahrpersonal
Der Job des Berufskraftfahrers geht mit einer hohen psychischen und körperlichen Belastung einher. Die extremem Anforderungen und der Leistungsdruck machen den Beruf für viele potenzielle Arbeitnehmer beziehungsweise aus Sicht des Nachwuchses uninteressant. Die Bezahlung ist im Vergleich zur erbrachten Leistung als zu gering einzustufen. In anderen Branchen kann bei gleicher Leistung deutlich mehr verdient werden. Zudem genießt kaum eine Berufsgruppe in der Öffentlichkeit ein so schlechtes Image wie die Berufskraftfahrer.

„Die Entlohnung ist der Leistung nicht angemessen“ (Befragter)
Außerdem ist durch den Wegfall der Wehrpflicht die Anzahl an jungen Erwachsenen mit einem Lkw-Führerschein rapide gesunken. Für die Unternehmen der Transport- und Logistikbranche hat sich somit der Bewerberpool deutlich eingeschränkt. Da der Führerschein eine Grundvorrausetzung für den Beruf des Lkw-Fahrers sowie für den Abschluss der Berufsausbildung ist, entstehen den potenziellen Absolventen und den ausbildenden Unternehmen hohe zusätzliche Kosten.

Als Hauptgrund für den Fahrermangel sieht rund ein Drittel die unattraktiven Arbeitsbedingungen. Jeweils etwa 18 Prozent nennen zu hohe Führerscheinkosten und schlechtes Image des Berufs. Knapp acht Prozent machen den Wegfall der Bundeswehr für den Führerscheinerwerb als Ursache verantwortlich, knapp vier Prozent monieren zu wenig Ausbildungsstellen für den Nachwuchs.

Bei der direkten Abfrage nach den Gründen für den Fahrermangel (Mehrfachnennung möglich) landet die niedrige Attraktivität der Berufsgruppe mit über 70 Prozent auf Platz eins. Es folgen zu geringe Entlohnung (66 Prozent), schlechte Arbeitsbedingungen (59 Prozent), zu geringe Qualifikation der Bewerber (55 Prozent), hoher Altersdurchschnitt (46 Prozent) und gesundheitliche Konsequenzen (25 Prozent).

„Manche Bewerber haben keine Vorstellung vom Berufsalltag eines Lkw-Fahrers“ (Befragter)

Auf die Frage „Was ist das größte Problem bei der Gewinnung von neuen Fahrern?“ antworteten 54 Prozent die geringe Anzahl an qualifizierten Arbeitnehmern. Knapp ein Viertel sieht in den unattraktiven Arbeitsbedingungen das Hauptproblem. Nur rund sechs Prozent nennen zu hohe Gehaltsvorstellungen.

Qualifikation und Anforderung an das Fahrpersonal
Erfahrungen bei der Ladungssicherung sowie der Koordination des Be- und Entladens sind für über drei Viertel sehr wichtig. Rund die Hälfte der Unternehmen fordert Erfahrungen mit bestimmten Fahrzeugtypen, 44 Prozent eine abgeschlossene Ausbildung als Berufskraftfahrer und 36 Prozent einen ADR-Gefahrgutschein.

Darüber hinaus sehen alle Unternehmen ein gutes Zeit- und Stressmanagement sowie Flexibilität als die wichtigsten Grundeigenschaften eines Berufskraftfahrers. Aber auch serviceorientierter Umgang mit Kunden (96 Prozent) sowie Fremdsprachenkenntnisse (95 Prozent) sind wichtig, gefolgt von sauberem Auftreten und gepflegtem Fahrzeug (90 Prozent) sowie Pünktlichkeit (78 Prozent).

Rekrutierungsmaßnahmen und Nachwuchsförderung
Bei der Beschaffung von neuem Fahrpersonal arbeitet die die überwiegende Mehrheit der Unternehmen (71 Prozent) mit der Bundesagentur für Arbeit zusammen. 44 Prozent kooperieren mit Verbänden und rund ein Viertel arbeitet sogar mit der Konkurrenz zusammen. Die Möglichkeit offene Stellen durch Arbeitslose oder Quereinsteiger zu besetzen, bewerten über 40 Prozent der befragten Unternehmen jedoch als weniger erfolgversprechend. Als Hauptgründe werden hierbei auf die fehlende Motivation (80 Prozent) und Qualifikation (65 Prozent) der Bewerber verwiesen. Für rund 40 Prozent spielen zu hohe Kosten für Aus- und Weiterbildung eine Rolle, knapp 30 Prozent beanstanden hierbei auch den zu großen Zeitaufwand.

„Oft stellen sich unqualifizierte und unmotivierte Leute vor, für die unsere Anforderungen zu hoch sind“ (Befragter)

Knapp die Hälfte der Unternehmen ist zudem der Meinung, dass Schulungen oder Umschulungen zum Berufskraftfahrer von der Agentur für Arbeit nicht in ausreichendem Maße angeboten werden. Für rund 30 Prozent ist das Angebot durchaus akzeptabel.

Nur rund jedes dritte Unternehmen bildet selbst Berufskraftfahrer aus oder bietet Nachwuchsförderprogramme beziehungsweise Ausbildungsinitiativen an. Knapp ein Viertel führt andere Maßnahmen durch – ist auf Jobmessen präsent oder nimmt an Informationsveranstaltungen in Schulen oder am Tag der offenen Tür teil. Von diesen Betrieben setzten jedoch nur 15 Prozent auf Social Media-Plattformen als Rekrutierungsinstrument.

Gleichwohl bieten zahlreiche Arbeitgeber ihren Fahrern zusätzliche Anreize: Mehr als 90 Prozent zahlen Schulungen oder überlassen ihnen ein „eigenes“ Fahrzeug. Über 80 Prozent kommen für die Arbeitskleidung auf, rund drei Viertel bietet einen überdurchschnittlichen Lohn, die Hälfte lockt mit Erfolgsprämien und rund 44 Prozent übernehmen die Führerscheinkosten.

Umdenken im Sinne der Verkehrssicherheit
Die TÜV Rheinland-Studie bestätigte die Annahme eines Mangels an Berufskraftfahrern in Deutschland. Insgesamt gesehen, muss die Gewinnung des Nachwuchses deutlich verstärkt werden, um in Zukunft wieder über ausreichend qualifiziertes Fahrpersonal zu verfügen. Das gilt gleichermaßen für Unternehmen, Verbände, Politik und Bundesagentur für Arbeit. „Hier muss ein Umdenken erfolgen. Denn obwohl rund die Hälfte der Befragten kritisiert, dass Schulungen beziehungsweise Umschulungen zum Berufskraftfahrer von der

Bundesagentur nicht in ausreichendem Maß angeboten werden, beteiligen sich nur knapp 30 Prozent der Betroffenen selbst an Förderprogrammen oder bieten Ausbildungsmöglichkeiten an. Dabei geht es nicht allein um betriebs- und volkswirtschaftliche Konsequenzen. Alle Beteiligten sollten dafür sorgen, dass die Sicherheit auf deutschen Straßen nicht auf der Strecke bleibt, denn der Verantwortliche für die Verkehrssicherheit ist und bleibt der Mensch“, betonte TÜV Rheinland-Vorstand Prof. Dr.-Ing. Jürgen Brauckmann. (TÜV Rheinland)



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