Bei Flügen durch Insektenschutz Sprit sparen
Die Windschutzscheibe voller Insektenreste: Es ist eine altbekannte Erfahrung auf sommerlichen Straßen. Auf der Runway am Flugplatz ist es nicht anders. An warmen Tagen kollidieren manchmal ganze Insektenschwärme mit startenden und landenden Flugzeugen. Wie diese großflächigen Verunreinigungen besonders die Umströmung neuartiger Tragflächen stören und damit anvisierte Treibstoffeinsparungen gefährden, untersuchen Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gemeinsam mit Airbus. Extrem tiefe Flüge des größten DLR-Forschungsflugzeugs ATRA über den Flugplatz Magdeburg-Cochstedt zeigten den Strömungsexperten, wie die kleinen Flügeltiere den Flugverkehr beeinflussen. Das Ziel sind zukünftige Hightechflügel mit Insektenschutz.
„Im Rahmen unserer Forschungsarbeiten an der sogenannten Laminartechnologie verfolgen wir zusammen mit Airbus das Ziel, Verkehrsflugzeuge bei Umweltverträglichkeit, Lärmemissionen und Wirtschaftlichkeit weiter zu verbessern“, sagt Dominic Fabian Gloß vom DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik. „Die vielen Insekten, die auf die vorderen Bereiche der Flügel treffen, verhindern das Ausbilden großer laminarer, reibungsarmer Bereiche der Tragfläche und machen damit das Ziel der Treibstoffersparnis durch Laminarhaltung zu Nichte“. Im Bereich der Laminartechnologie werden moderne Kohlefaser-Tragflächen erforscht. Die Flügel der Zukunft werden für die Reduzierung des Reibungswiderstandes besonders glatte Oberflächen besitzen müssen, damit ein deutlich geringerer Widerstand erzielt werden kann, als bei heutigen Tragflügeln. Glatte Tragflächen bewirken eine Verlängerung der widerstandsarmen laminaren Laufstrecke der umströmenden Luft, die sogenannte Laminarhaltung.
„Zukünftig sollen besondere vordere Klappen, die bei Start- und Landung zur Steigerung des Auftriebs ausgefahren werden, die Flügel zusätzlich vor Insektenverschmutzung schützen“, so Gloß. Der DLR-ATRA (Advanced Technology Research Aircraft), ein zum Forschungsflugzeug umgebauter Airliner vom Typ Airbus A320, wurde für die Wissenschaftler zum fliegenden Labor für die neue Technologie: „Wir fliegen mit dem ATRA für unsere Versuche sogenannte Platzrunden. Jeder Testpunkt beinhaltet etwa zehn Überflüge am Flugplatz in geringer Höhe“, erklärt der Braunschweiger Forscher. „Insekten fliegen typischerweise sehr tief, was eine Untersuchung im Flug zur besonderen Herausforderung macht.“ Nur selten sind sie in Höhen über 200 Meter zu finden. Ihre Anzahl nimmt drastisch mit der Höhe ab.
Tiefe Überflüge statt Starts und Landungen
„Vom DLR-Standort Braunschweig aus haben wir jeweils mit dem ATRA Kurs auf den Flughafen Magdeburg-Cochstedt genommen“, berichtet Testpilot Stefan Seydel. „Spannend waren die einzelnen Überflüge über den Flughafen, mit denen Starts und Landungen eines Verkehrsflugzeuges simuliert wurden“, ergänzt der Leiter der DLR-Flugabteilung in Braunschweig und fügt hinzu: „In etwa 15 Metern über Grund fliegend war es das Ziel, in möglichst kurzer Zeit den im Alltag eigentlich unerwünschten Insektenbefall in typischen Start- und Landekonfigurationen gezielt herbeizuführen.“ Bis zu 30 solcher Tiefflüge mit anschließendem Durchstarten absolvierten die Testpiloten des DLR an einem Tag. An insgesamt vier speziell nach dem zu erwartenden Insektenaufkommen ausgewählten Tagen zwischen dem 23. Juli und 6. August fanden die Versuchsflüge statt.
Klebefolien mit Insektenmustern
„Die vielen tiefen Überflüge geben uns ein gutes Bild, an welchen Stellen die Insekten am Flugzeug anhaften“, sagt DLR-Forscher Gloß. Auf einer Reihe von Klebefolien haben Gloß und seine Kollegen die Insekten eingefangen und speisen nun ihre Computermodelle mit den Insektenmustern. „Die Ergebnisse nutzen wir im Rechner für zukünftige aerodynamische Tragflächen-Entwürfe zur Weiterentwicklung der Laminartechnologie.“
Segelflieger als Vorbild
Der Blick der Wissenschaftler reicht dabei über den Entwicklungsstand heutiger Verkehrsflugzeuge hinaus. Viele Oberflächenunebenheiten durch Nieten, Stufen und Fugen stören bisher auf den Tragflächen. Auf dem Weg zum Laminarflügel müssen die Forscher diese Strömungshindernisse aus den Entwürfen verbannen: „Die Entwicklung von Flügeln mit einer strömungsgünstigeren Oberflächenqualität stellt eine große Herausforderung dar, ist technisch aber machbar“, so Gloß. Zukünftige Laminarflügel orientieren sich dabei an den glatten, strömungsoptimierten Tragflächen heutiger Segelflieger, werden aber deutlich größer ausfallen.
Die Kohlefaserflügel der Zukunft werden ohne störende Unebenheiten und Verunreinigungen durch Insekten den Treibstoffverbrauch senken. Den nötigen Schutz werden Vorderkantenklappen an den neuartigen Tragflächen liefern: Ein Insektenschutz zum Spritsparen sozusagen, deren Design auch von den jetzt durchgeführten Flugversuchen beeinflusst wird.
Mit den eindrucksvollen Testflügen am Flughafen Magdeburg-Cochstedt ist ein erster Schritt im Projekt ProWinGS, gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft im Rahmen des vierten Luftfahrtforschungsprogramms, getan. Weitere vereinzelte Versuchsflüge sind für Ende August anvisiert. (DLR)
Tweet» Diesen Artikel via Mail weiterempfehlen