2. November 2007, England, Reisereportagen

Alderney – die schöne Unentdeckte

Es verwundert nicht, dass eine der Fluggesellschaften, die die Kanalinseln anfliegt, Aurigny heißt, was im Französischen für Alderney steht. Denn die Insel ist nur rund 15 Kilometer vom französischen Festland, dem Cap de la Hague in der Normandie, entfernt, das man bei klarem Wetter mit bloßem Auge gut erkennen kann. Und doch gilt Alderney als die englischste der Kanalinseln, ist sie doch schon seit über eintausend Jahren mit dem fernen England verbunden. Mit seinen 2.400 Einwohnern und einer Fläche von rund 9 Quadratkilometern ist Alderney die drittgrößte Kanalinsel. Warum sich ein Abstecher auf die zauberhafte Insel von Guernsey aus lohnt, lesen Sie im Weiteren. Anders als nach Herm und Sark erfolgt die Anreise von Guernsey aus meist mit dem Flugzeug, aber nicht etwa mit einer großen Maschine, sondern mit einem Trislander, von den Bewohnern der Kanalinseln liebevoll Joey genannt. Dieses Flugzeug, von dem zwischen 1970 und 1982 von der englischen Flugzeugschmiede Britten-Norman 73 Stück gebaut wurden, hat nur 17 Plätze. Fensterplätze müssen nicht reserviert werden – es gibt keine anderen! Nachdem die Passagiere bangen Herzens die Maschine bestiegen haben, erleben sie einen zauberhaften Flug über Guernsey, das Meer zu Greifen nahe und einen Anflug auf Alderney, der ihre Herzen höher schlagen lässt, da sie eine Insel erwartet, die Schönheit, Weite und Ruhe ausstrahlt. Die steilen Klippen im Süden und Westen der Insel sind mit unzähligen verschiedenen Wildblumen übersät und laden zu einsamen Spaziergängen und botanischen Studien ein. Die Insel fällt zum Norden und Osten hin flacher ab. Hier ist auch der Hafen, von dem man, sollte man nicht geflogen sein, zur Inselhauptstadt St. Anne gelangt. St. Anne ist gewiss nicht das Shoppingparadies der steuerfreien Kanalinseln, aber die kleinen Läden, Bars und Restaurants sind einen Besuch wert und Touristenkitsch lässt sich hier schwerlich finden. Dafür hat Alderney etwas, was die anderen Inseln nicht haben: Eine eigene Eisenbahn, die ausrangierte U-Bahn-Waggons der Londoner Northern Line hinter sich herzieht und im Sommer Besucher durch die reizvolle Landschaft fährt. Zur Sicherung des Verkehrs muss ein Kollege des Schaffners allerdings mit seinem Auto auf der Straße vorweg fahren, um den auf der Insel nicht gerade häufig passierenden Autos das Herannahen des Zuges zu signalisieren.

Wie auf den übrigen Kanalinseln haben auch auf Alderney die deutschen Besatzer während der Nazi-Zeit ihre Spuren in Form von Bunkern hinterlassen, die die Landschaft allerdings nur unwesentlich verschandeln, wenn man sie als Teil der Geschichte von Alderney akzeptiert. Die gesamte Bevölkerung von Anderney wurde 1940 evakuiert, konnte allerdings erst im Dezember 1945 auf ihre Insel zurückkehren. Damit blieb ihnen das Schicksal der Bewohner der anderen Inseln erspart, die zum Teil zu Zwangsarbeit herangezogen wurden.

Alderney unterscheidet sich von den anderen Inseln, auch was den Tourismus betrifft. In den Sommermonaten verkehrt eine Schnellfähre von Frankreich aus, die in Guernsey Zwischenstopp macht, ansonsten sind die Fährverbindungen im Gegensatz zu Herm und Sark aufgrund der viel stärkeren Meeresströmungen rund um Alderney eher unregelmäßig. So verirren sich Touristen eher selten auf die Insel, obwohl Alderney auch einige schöne Hotels, Gästehäuser und Selbstversorger Unterkünfte sowie einen Campingplatz zu bieten hat. Aber Alderney ist wirklich nur etwas für Menschen, die unberührte Natur lieben oder Geschäfte per Internet zu erledigen haben. Denn die Insel gilt als idealer Offshore Standort mit guter Infrastruktur, erstklassiger Telekommunikation, gut geschulten örtlichen Kräften und die Insel ist, was für Geschäftleute von Bedeutung ist, auch ein Steuerparadies.

Paradiesisch ist aber auch die Natur, die die Besucher erwartet. Es soll noch immer rund 900 verschiedene Pflanzenarten auf der Insel geben. Gemessen an der Größe hat die Insel damit eine einhundert Mal größere Artenvielfalt an Pflanzen als der Landesdurchschnitt. Als die erste Zählung der Pflanzenarten 1839 vorgenommen wurde gab es 1.042 verschiedene Arten, was dafür spricht, das Alderney stets auf die Erhaltung seiner Pflanzen geachtet hat.

Beim Studium der verschiedenen Pflanzenarten kann man auch darüber nachsinnen, wie die blonden Igel, die sogenannten „Alderney Spike Girls“ es wohl auf die Insel geschafft haben. Es halten sich hartnäckig Gerüchte, dass diese äußerst seltene genetische Besonderheit bei normalen Westeuropäischen Igeln hier deshalb so häufig vorkommt, weil ein Vorfahr der heutigen blonden Igel in den 60er Jahren in einer Lieferung der Haustierabteilung von Harrods auf die Insel gelangt ist. Eine Geschichte, die man sich erzählt in Ermangelung einer Erklärung für den Ursprung dieser Tiere, von denen es rund 1.000 Exemplare auf der Insel gibt, und die keinerlei Flöhe beherbergen. Nicht nur blonde Igel sondern auch allerlei Vogelarten fühlen sich auf der Insel wohl. Papageientaucher und Eissturmvögel sind hier gern gesehene Sommergäste und Tölpel machen es sich das ganze Jahr über gemütlich. Die felsige Nachbarinsel Burhou ist ein Vogelreservat, das von Mai bis Juli nicht betreten werden darf. Auf der Insel steht nur eine Hütte, die von Alderney an Besucher vermietet wird, ansonsten ist die Insel unbewohnt. Vögel beobachten oder an Wildblumen schnuppern ist aber nicht das einzige, was man auf der Insel unternehmen kann. Angler haben die Wahl zwischen den reichen Fanggründen auf hoher See oder nahe an der Küste, wo sicherlich eine Makrele, ein Seebarsch, eine Scholle oder eine Seezunge schnell anbeißt.

Etwas aktiver geht es auf dem 9-Loch Golfplatz der Insel zu, der neben Sport auch eine grandiose Aussicht bietet. Vielleicht sportlich gesehen nicht gerade der anspruchsvollste Golfplatz, dafür aber einer der landschaftlich reizvollsten auf den gesamten Britischen Inseln. Auch Reiter finden ein Paradies vor, wenn sie unter fachkundiger Führung die Insel hoch zu Ross erobern. Sport wird hier überhaupt groß geschrieben: Bowling, jonglieren, Cricket, fliegen, Darts, Rad fahren, tauchen oder schwimmen – es ist für jeden was dabei. Und wer sich einfach nur erholen und die Natur und die Küste genießen will, der ist auf Alderney genau richtig. Ganz oben auf der Aktivitätsskala steht nämlich das Wandern. Ob alleine oder in Begleitung eines Wanderführers, die Spaziergänge durch die Sträßchen von St Anne oder die Wanderungen entlang der Klippen und über die zahlreichen weißen Sandstrände sind Balsam für die Seele der Urlauber, die hier Erholung suchen.



» Diesen Artikel via Mail weiterempfehlen





Das könnte Sie auch interessieren:

Weitere Beiträge zum Thema: