9. November 2008, Polen

Veranstaltungen in Breslau zum 70. Jahrestag der Pogromnacht

In Erinnerung an den 70. Jahrestag der so genannten Reichskristallnacht finden im niederschlesischen Wrocław (Breslau) zahlreiche Veranstaltungen statt. Im Mittelpunkt steht die Synagoge Unter dem Weißen Storch (Synagoga Pod Białym Bocianem), die als einzige in der Oderstadt die Nazizeit überdauerte und gegenwärtig durch eine Stiftung der norwegischen Künstlerin Bente Kahan saniert wird.

Die Synagoge, von dem berühmten Architekten Carl Ferdinand Langhans 1829 im klassizistischen Stil errichtet, befand sich einst im Zentrum des jüdischen Viertels von Breslau. Sie wurde während der Pogrome am 9. November 1938 nicht in Brand gesteckt, weil sie zu dicht an der übrigen Wohnbebauung stand. Nach der massenhaften Auswanderung von Juden aus Polen war sie jedoch ab 1968 dem zunehmenden Verfall preisgegeben. Erst nach der politischen Wende 1989 konnte sie vor dem endgültigen Niedergang gerettet werden. Nach ersten Sicherungsarbeiten fanden ab 1998 wieder Veranstaltungen in dem jüdischen Gotteshaus statt, doch für eine grundlegende Sanierung fehlte der Jüdischen Gemeinde von Breslau das Geld.

Für die Jüdische Gemeinde und für das Kulturleben von Wrocław erwies es sich als Glücksfall, dass die norwegisch-jüdische Schauspielerin und Sängerin Bente Kahan mit ihrem aus Polen stammenden Ehemann 2001 in die Stadt zog. Sie wollte eigentlich nur ein Jahr bleiben, verliebte sich aber nach eigenen Worten in Wrocław. Sie stieß dort auf ein reiches kulturelles Erbe aus 800 Jahren jüdischer Geschichte. Bente Kahan, 1958 als Mitglied einer berühmten chassidischen Familie in Oslo geboren, machte es sich zur Aufgabe, sich um dieses vergessene Erbe zu kümmern.

2006 gründete die international erfolgreiche Klezmersängerin und Theaterfrau ihre Fundacja Bente Kahan (FBK) und sammelte mit dieser Stiftung bereits drei Millionen Euro für die Sanierung der Synagoge. Seit einigen Monaten empfängt eine neue Außenfassade die Besucher. Auch der Thora-Schrein im Inneren wurde inzwischen restauriert und der Keller trocken gelegt. Schon in wenigen Jahren soll das Gebäude wieder für jüdische Gottesdienste und als Museum der schlesischen Juden dienen. Für ihr Engagement erhielt Bente Kahan bereits 2006 den jährlich verliehenen Bürgerpreis des Breslauer Stadtpräsidenten.

Im Jahr 1925 zählte Breslau rund 25.000 jüdische Bürger und war damit nach Berlin und Frankfurt das drittgrößte jüdische Zentrum in Deutschland. Heute hat die überalterte Gemeinde nur rund 300 Mitglieder. Doch in der Stadt gibt es wieder zahlreiche jüdische Kulturveranstaltungen und das Interesse an dem lange vergessenen Teil der polnisch-deutschen Geschichte wächst in der Bevölkerung. Bente Kahan trägt mit ihrem Engagement in der Stiftung und durch ihre eigene künstlerische Arbeit dazu bei. So entstand 2007 ihre szenische Collage „Wallstraße 13“. Darin erzählt sie die Geschichte jüdischer Bürger in der heutigen ul. Włodkowica zwischen 1930 und 1968. Das Haus befindet sich nur wenige Meter von der Synagoge entfernt. „Wallstraße 13“ wird am 6. und 7. November in der Breslauer Storchen-Synagoge aufgeführt.

Am 9. November wird um 17.30 Uhr in der Synagoge eine Ausstellung über die Renovierungsarbeiten des Gebäudes eröffnet, bevor dort um 18.30 ein Gedenkmarsch zum Platz der Großen Synagoge in der ul. Łąkowa beginnt, die während der Pogromnacht 1938 von den Nationalsozialisten abgebrannt wurde. Im Historischen Rathaus der Oderstadt ist noch bis zum 30. November eine Ausstellung über jüdisches Theater in Niederschlesien zu sehen.

Infos: Die Storchen-Synagoge befindet sich im Innenhof zwischen den beiden Straßen ul. Włodkowica und ul. Św. Antoniego, nicht weit entfernt vom Marktplatz. Das ehemals jüdische Viertel rund um die Synagoge hat sich in den vergangenen Jahren zu einem neuen Ausgehviertel in Breslau mit mehreren Kneipen, Bars und Restaurants entwickelt. Infos über die norwegisch-jüdische Künstlerin Bente Kahan, ihre Arbeiten und Auftritte unter www.bentekahan.eu und über die Stiftung Bente Kahan unter www.fbk.org.pl . Informationen über Wrocław unter www.wroclaw.pl. (FVA Polen)



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