28. Oktober 2010, Spanien

Anfänge der Menschheit im Evolutionsmuseum Burgos

Seit diesem Sommer besitzt die kastilische Stadt Burgos mit dem neu eröffneten Museum der menschlichen Evolution „Museo Evolución Humana“ einen weiteren touristischen Anziehungspunkt erster Güte. Besucher des Museums können sich anhand von mehr als 200 Fundstücken aus der nahe gelegenen Ausgrabungsstätte Atapuerca auf eine spannende Zeitreise bis in die Anfänge der Menschheitsgeschichte begeben. 

Im Jahr 2000 setzte die UNESCO die archäologischen Ausgrabungen in der nur etwa 20 km von Burgos entfernten Sierra de Atapuerca auf die Liste der Kulturgüter der Menschheit. In der wohl bedeutendsten Ausgrabungsstätte des Paläolithikums in Europa finden sich gemäß der Begründung der UNESCO „zahlreiche fossile Zeugnisse der ersten menschlichen Bewohner Europas… Fossile, die eine außergewöhnliche Quelle an Daten liefern, deren wissenschaftliche Untersuchungen Informationen von unschätzbarem Wert über das Leben dieser ältesten unserer Vorfahren bieten.“

Atapuerca liegt inmitten des sogenannten Korridors von La Bureba, einem historisch wichtigen Pass zwischen den Flüssen Ebro und Duero. Die durch die Zusammenkunft mediterraner, atlantischer und kontinentaler Einflüsse klimatisch bevorzugte Region brachte seit jeher eine vielseitige Flora und Fauna hervor. Dementsprechend reichen hier die Spuren menschlicher Besiedelung bis zu mehr als einer Million Jahre zurück. Geologisch besteht die Gebirgslandschaft der Sierra de Atapuerca aus einem Karstkomplex mit einem weitläufigen unterirdischen System aus Galerien und Höhlen. Viele von ihnen waren einst nach außen geöffnet und sind durch Einstürze und die Einlagerungen von Sedimenten, darunter zahlreiche Überreste von Tieren, Pflanzen, Teilen der Essensvorräte von menschlichen und tierischen Bewohnern, im Laufe der Jahrtausende verschlossen worden.

Seit vielen Jahrzehnten interessieren sich Menschen für diese Höhlen. Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde vor allem in der Cueva Mayor geforscht. Schon im Jahr 1645 ritzte der Mönch Fray Manuel Ruiz seinen Namen in die Wände dieser Höhle. 1868 gab es die ersten detaillierten Beschreibungen der Höhle. 1910 wurden die ersten Höhlenzeichnungen entdeckt. Ende des 19. Jahrhunderts hatte man mit dem Bau einer Eisenbahnstrecke durch die Sierra de Atapuerca begonnen. Sie war vornehmlich für den Transport von Kohle und Eisen aus der nahen Sierra de Demanda bis ins Baskenland vorgesehen. 1910 wurde die Strecke jedoch bereits wieder stillgelegt.

Systematische Ausgrabungen in der Höhle und entlang der Eisenbahnstrecke gibt es seit dem Jahr 1964. Seit damals und bis heute traf man im Laufe der Arbeiten auf Funde von Höhlenmalereien, Überbleibsel von Begräbnisriten, Steinwerkzeuge und Tierfossilien. Spektakuläre Entdeckungen wie der Fund einer bisher unbekannten Bärenart und jahrtausendealte menschliche Knochen sorgten dafür, dass ein Teil der Menschheitsgeschichte neu geschrieben werden musste. Im Sommer 1992 stießen die Archäologen in der „Sima de los Huesos“, der Knochengrube, auf 300.000 Jahre alte Reste von 32 menschlichen Individuen beider Geschlechter und unterschiedlichen Alters. Darunter befand sich der berühmte Schädel von Miguelón, einem Homo heidelbergensis, und dem bisher besterhaltenen menschlichen Fund aller Zeiten. Allein die Funde in der Knochengrube stellen 70 Prozent der bisher in aller Welt gefundenen menschlichen Fossile dar. Weitere interessante Funde ließen den Schluss auf die älteste Art von Kannibalismus in Europa zu. Ein unbenutzter Faustkeil, der Excalibur getauft wurde und Teil einer Bestattungsgabe war, brachte den Forschern die Gewissheit, dass bereits der Homo heidelbergensis, dessen Vorkommen man auf etwa 500.000 bis 600.000 Jahre vor unserer Zeit schätzt, bereits die Fähigkeit zu symbolischen Handlungen hatte.

In der Höhle Gran Dolina stießen die Archäologen vor 10 Jahren auf die damals ältesten menschlichen Knochen in Europa. Neben Steinwerkzeugen und Tierfossilien tauchten die sterblichen Überreste von Hominini auf, die vor rund 800.000 Jahren lebten. Damit entdeckte man eine ganz neue Spezies Mensch, ein vorher unbekanntes Glied in der Kette der menschlichen Entwicklung, den Homo Antecessor, ein Vorfahr des Homo Heidelbergensis, der wiederum dem Neandertaler vorausgegangen ist. Im Jahr 2008 waren die Funde in der Elefantengrube noch spektakulärer mit dem Kieferknochen eines etwa 20-jährigen menschlichen Wesens, dessen Alter auf 1,2 Millionen Jahre datiert wurde. Die in einer einzigen Ausgrabungsregion entdeckte außergewöhnliche Anzahl von Funden, die von den frühesten Anfängen der Menschheitsgeschichte bis in die Neuzeit reichen, ist einzigartig und macht Atapuerca zu etwas ganz Besonderem.

Obwohl die Forschungsarbeiten in Atapuerca weitergehen und nahezu täglich neue Funde zu Tage fördern, stehen einige Teile des Ausgrabungsgeländes für Besucher offen. Eine Besichtigung der Stätte beginnt am Eisenbahngraben, der Trinchera del Ferrocarril. Von hier gelangt man in die Höhle Gran Dolina, der Fundstelle des Homo antecessor. Danach folgt ein spannender Rundgang durch die Galería und die Elefantengrube, die Sima del Elefante.

Im Archäologiepark schließlich, der im Jahr 2001 zusätzlich für Besucher geschaffen wurde, erhält man bei einem Spaziergang entlang nachgebauter Hütten und Zufluchtsstätten aus den Zeitaltern zwischen Paläolithikum, Neolithikum und Bronzezeit einen Einblick in das alltägliche Leben unserer frühesten Vorfahren.

Das neue Museum in Burgos wurde konzipiert von Architekt Juan Navarro Baldeweg, der bereits die berühmte Nachbildung der Höhle von Altamira in Kantabrien geschaffen hatte. Seine architektonische Konstruktion ähnelt einer lichtdurchfluteten Truhe, in der sich die vier Stockwerke miteinander verbinden und sich gegenseitig ergänzen. Sowohl das Äußere des Gebäudes, das sich in sanften Terrassen bis an den Fluss Arlanzón erstreckt, als auch die Innenräume sollen an die Topographie der Sierra de Atapuerca erinnern. Die Architektur soll mit dem museographischen Inhalt übereinstimmen, der aufs engste mit dem Territorium, dem Boden, den geologischen Schichten und der Natur im Allgemeinen verbunden ist.

Das Gebäude selbst ist als Prisma konstruiert mit 60 Metern Breite, 30 Metern Höhe und 90 Metern Länge. Eine doppelte Haut aus Glas überzieht die vier Fassaden. Die Dachkonstruktion erlaubt einen senkrechten Lichteinfall, der die Räume stets lichtdurchflutet und transparent erscheinen lässt.

Das Museum versteht sich als ein Museum für Atapuerca, nicht als das Museum Atapuercas. Der Besuch der Ausgrabungsstätte selbst soll eine Erfahrung bleiben, die nicht durch den Museumsbesuch zu ersetzen ist. Das Museum will lediglich als „virtueller Vorsaal der Ausgrabungsstätte“ zum besseren Verständnis der Ausgrabungsstätte beitragen und anhand der Funde eine didaktische Einführung in die komplexe Welt der Entwicklungsgeschichte der Menschheit leisten.

So gibt das Museum der Evolution des Menschen von den unteren Stockwerken ausgehend nach oben dem Besucher einerseits einen Überblick über die spektakulären Funde in der Sierra de Atapuerca und informiert auf didaktische Weise über die einzelnen Entwicklungsphasen des Menschen. Das Untergeschoss ist das Herzstück des Museums. Hier befindet sich eine Reproduktion der Sima de los Huesos, der Knochengrube, die in der Ausgrabungsstätte selbst aufgrund des abschüssigen Geländes nicht für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Auf dieser Etage begegnet der Besucher dem Homo Antecessor und den Fundstücken aus der Gran Dolina Höhle und der Elefantengrube, der Sima del Elefante. Die Ausstellungsräume im Erdgeschoss des Museums widmen sich der der Evolutionstheorie Darwins und der Entwicklungsgeschichte des Menschen sowie den außergewöhnlichen Fähigkeiten seines Gehirns, die ihn von anderen Lebewesen unterscheiden. Der Besuch der ersten Etage des Museums beantwortet die Frage, warum wir noch immer dem Jäger von einst gleichen und doch so verschieden von ihm sind. Man entdeckt die unterschiedlichen Meilensteine der kulturellen Entwicklung und erhält schließlich in der zweiten Etage einen Einblick in die wichtigsten Ökosysteme für die Menschheitsentwicklung: Wälder, Savannen, die Tundra- und Steppengebiete der letzten Eiszeit.

Insgesamt sind an die 200 Originalfossile aus den Fundstätten der Sierra de Atapuerca im Museum zu sehen. Darunter stechen natürlich die Überreste des Homo Antecessor und des Homo Heidelbergensis hervor, aber auch Fossile von unserem direkten Vorfahren, dem Homo Sapiens können bewundert werden. Man steht staunend vor dem berühmten, etwa 500.000 Jahre alten Schädel von „Miguelón“, dem Kiefer von „Letizia“, einem Homo Antecessor, der etwa 850.000 Jahre alt ist, oder vor dem Becken von „Elvis“, dem weltweit besterhaltenen Fossil eines Homo Heidelbergensis, der ebenfalls vor mehr als 500.000 Jahren gelebt hat. Aus der Tierwelt gibt es Fossile von Löwen, Equiden – den Vorfahren der Pferde – Bären und Hirschen. Natürlich ist aufgrund der laufenden Ausgrabungen auch das Museum in ständigem Wandel begriffen.

Die Öffnungszeiten des Museo Evolución Humana, kurz MEH, sind:

Dienstags bis freitags: 10h30 bis 14h30 und 16h30 bis 20h30
Samstags, sonntags und feiertags: 10h00 bis 20h00.
Montags geschlossen (außer an Feier- oder Brückentagen).

Ein Shuttleverkehr bietet zweimal täglich die Möglichkeit, den Besuch des Museums mit einer Besichtigung der Ausgrabungsstätte und dem Archäologiepark zu verbinden. Informationen im Internet unter www.museoevolucionhumana.com. (Tourspain)



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