10. Dezember 2012, Sylt

Traditioneller Rummelpottlauf an Silvester auf Sylt

„Prost Niijaar“: Zugegeben, wer am Silvesterabend auf Sylt einen beschaulichen Nachmittagsspaziergang eingeplant hat, mag nicht damit gerechnet haben, allerlei seltsamen, mit einem Topf, mit Taschen oder Körben bewaffneten Gestalten zu begegnen. Wer jedoch – statt vielleicht den Weg zum Strand einzuschlagen – diesen schrägen Vögeln folgt, hat die Chance, einen der vielleicht lustigsten Bräuche der Insel live mitzuerleben. Maskenlaufen oder auch Rummelpott heißt das Spektakel zum Jahreswechsel, und das hat eine längere Tradition als Halloween.

Der Silvesterabend. Es könnte alles so beschaulich sein: Freunde und Verwandte sind da, die Vorfreude auf das Essen steigt den Gästen bereits duftend in die Nase, sämtliche Gerätschaften fürs Bleigießen sind bereit gelegt – und dann schrecken seltsame Geräusche und schräge Gesänge die feierliche Gesellschaft aus der Jahresend-Idylle. In diesem Fall ist man gut beraten, die Tür umgehend zu öffnen, denn je länger die Aufforderungen ignoriert werden, desto schräger, lauter und fordernder werden die Gesänge der verkleideten Rummelpottläufer, die nur ein Ziel kennen: Ihre Tüten und Taschen, Töpfe und Körbe – ihren Rummelpott – mit so viel Süßigkeiten und Naschwerk zu füllen wie möglich.

Mit einem Rummel oder gar Rum hat dieser Topf nichts zu tun: „Rummeln“ heißt im Niederdeutschen so viel wie „poltern“. Einst war das Gefäß ähnlich einer Trommel mit einer Schweinsblase überzogen, in der ein Schilfrohr steckte. Rieb man an dem Rohr mit der Hand oder einem Tuch, ertönte ein lautes Geräusch, das durch die Membran noch verstärkt wurde. Je nach gewünschter Tonhöhe wurden unterschiedlich große Trommelgefäße verwendet, die gelegentlich auch zu Teilen mit Wasser gefüllt wurden. Ein typischer, längst lieb gewonnener Brauch, der nicht nur auf Sylt, sondern in ganz Friesland beheimatet ist. Mit Hilfe des Polterns sollten in früheren Zeiten in den Nächten um die Jahreswende wahrscheinlich Wintergeister vertrieben werden, schließlich stand im Volksglauben gerade in diesen „rauen Nächten“ die Welt der Geister offen. Die heute verbreitete Variante des Rummelpottlaufens geht wahrscheinlich auf das 17. Jahrhundert zurück.

Geboren aus heidnischer Geister-Mythologie, ist der Brauch, Rummelpott zu laufen, auf Sylt noch immer verbreitet, wenn auch die Kinder und Jugendlichen heute wohl eher an fette Beute, denn an böse Geister denken. Denn der Rummelpott dient längst weniger zum Krachmachen als zum Sammeln der Süßigkeiten. Insbesondere in den Dörfern des Sylter Ostens ziehen die verkleideten Kinder in Gruppen und von Erwachsenen begleitet von Tür zu Tür und bitten um kleine Geschenke und um Süßigkeiten. Dabei singen sie nicht nur, sondern tragen auch kurze Verse zu den dörflichen Ereignissen entweder auf Hochdeutsch oder auf Söl’ring (Sylter Friesisch) auf.

Schon von weitem sind der Lärm und die Gesänge zu hören: Ein Signal für alle Bewohner, das von Weihnachten übrig gebliebene Naschwerk für die Rummelpottläufer an der Haustür bereit zu legen. Die Verweildauer an der Haustür oder gar in der guten Stube ist unterschiedlich und hängt von der Hartnäckigkeit und Sensibilität der Gäste ab. Einige stecken die Beute ein und ziehen weiter, andere stürmen geradewegs durch die Haustür und machen es sich auf dem Sofa bequem. Den Erwachsenen, die zur Beaufsichtigung der Kleinen verpflichtet wurden, wird in diesen Fällen meist ein Schnaps aufgedrängt. Mit etwas Glück stammt er aus der Flasche für „besondere Anlässe“, häufiger ist er allerdings in die Rubrik „Den trinkt bei uns sowieso keiner“ einzuordnen; manchmal ist der gute Tropfen schon seit Jahren nicht mehr auf dem Markt. Die Partystimmung zu Silvester ist da vorprogrammiert. Vielleicht der entscheidende Grund, warum längst nicht nur Kinder Rummelpott laufen – später am Abend muss man auch mit den Großen rechnen. (Sylt Marketing GmbH)



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