16. Januar 2010, Breslau (Wrocław)

Polen feiert Oranier-Prinzessin

Die Woiwodschaft Dolnośląskie (Niederschlesien) im Südwesten Polens feiert eine Oranier-Prinzessin. Zu ihrem 200. Geburtstag erklärte man 2010 zum Marianne-von-Oranien-Jahr, das mit zahlreichen Veranstaltungen begangen wird. Dem Festkomitee gehört neben mehreren Abgeordneten unter anderem die in Niederschlesien lebende Schriftstellerin Olga Tokarczuk an. Eine neue Marianne-von-Oranien-Route führt durch die Woiwodschaft und ins Nachbarland Tschechien. Marianne, die am 9. Mai 1810 geborene jüngste Tochter des niederländischen Königs Wilhelm I. von Oranien und Friederike Wilhelmine von Hohenzollern, zählte zu den schillerndsten Frauen ihrer Zeit. Sie galt als sehr fortschrittlich, geschäftstüchtig und selbstbewusst. Von ihrer Mutter erbte sie 1837 unter anderem die ehemaligen Klosteranlagen im niederschlesischen Camenz, dem heutigen Kamieniec Ząbkowicki und in Warthe (Bardo). Prinzessin Marianne widmete sich sehr intensiv den wirtschaftlichen Angelegenheiten und erweiterte ihren Besitz im Laufe der Zeit stetig.

Sie baute das Wegesystem im Glatzer Bergland aus, gründete eine Glashütte, führte auf ihren Gütern die Almwirtschaft mit Schweizer Nutzvieh ein und ließ bei Seitenberg (Stronie Śląskie) Marmor aus einem Steinbruch fördern. Mit diesen Maßnahmen trug sie wesentlich zum Aufschwung in der südlich von Breslau (Wrocław) gelegenen Region bei. Die geschäftstüchtige Prinzessin machte ihre Nachfahren zum reichsten Zweig der Hohenzollerndynastie und hinterließ ihnen neben zahlreichen Besitztümern ein großes Vermögen. So selbstbewusst wie in wirtschaftlichen Dingen trat sie auch im Privaten auf. Als 16-jährige verliebte sie sich in den schwedischen Prinzen Gustav Wasa, der jedoch als nicht standesgemäß angesehen wurde. Später heiratete sie ihren Cousin, den Prinzen Albrecht von Preußen, Sohn von König Wilhelm III. Das Prinz-Albrecht-Palais, Wohnsitz des jungen Paares, wurde unter ihrer Ägide zu einem beliebten Treffpunkt der Aristokratie in Berlin. Doch Marianne beschränkt sich nicht auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter, sie beschließt, sich in Camenz vom preußischen Baumeister Karl-Friedrich Schinkel ein Schloss bauen zu lassen und reist sehr viel.

Nach einem Seitensprung ihres Mannes beginnt sie selbst eine Liäson mit ihrem Sekretär. Als sie von ihm schwanger wird, folgt die Scheidung. Marianne wird vom Hof verbannt, Schloss Reinhardtshausen im Rheingau wird ihre neue Heimat. Sie darf Preußen nur noch einen Tag am Stück besuchen, kauft sich deshalb später im nahen Tschechien ein Schloss, um ihre niederschlesischen Güter schneller zu erreichen. 1883 stirbt sie im Rheinland. In Niederschlesien erinnert man sich auch heute noch gerne an die schillernde Oranier-Prinzessin, die als sehr wohltätig galt. Zu ihrem 200. Geburtstag erklärte die polnische Woiwodschaft 2010 zum Marianne-von-Oranien-Jahr und will mit einer Vielzahl von Veranstaltungen an sie erinnern. Ein erster Höhepunkt wird der Einzug Mariannes auf dem Breslauer Marktplatz sein, mit dem dort eine Open-Air-Fotoausstellung eröffnet wird. Im Streichholzmuseum von Bystrzyca Kłodzka (Habelschwerdt) findet am 16. Mai eine Nacht im Museum mit Marianne von Oranien statt.

Mit einer Performance soll dort eine Sonderausstellung über das Leben der Prinzessin eröffnet und außerdem eine neue Streichholzschachtel mit ihrem Konterfei vorgestellt werden. Im Ausstellungszentrum von Kamieniec Ząbkowicki soll am 8. Mai eine Ausstellung zum 200. Geburtstag der Marianne von Oranien mit einem festlichen Chorkonzert eröffnet werden. Auch zahlreiche Sommerfeste in der Glatzer Bergregion sind in diesem Jahr der Prinzessin gewidmet, so im Kurort Lądek Zdrój (Bad Landeck), wo am 7. August die Mariannen-Quelle im Kurpark nach Restaurierungsarbeiten neu eingeweiht werden soll. Auf den Spuren der Prinzessin führt die neue Marianne-von-Oranien-Route durch die südlich von Wrocław gelegene Bergregion. Sie beginnt in Ząbkowice Śląskie (Frankenstein) und führt auch über die tschechische Grenze ins nahe Bila Voda, wo sich Marianne 1853 einen Palast bauen ließ.

Wichtigste Station in Polen ist Kamieniec Ząbkowicki. Hier befindet sich das neogotische Märchenschloss, das Karl-Friedrich Schinkel für die Prinzessin entwarf. Majestätisch erhebt sich der vierflügelige Bau mit seinen vier runden Ecktürmen über der kleinen Stadt. Das Schloss gilt als letzte große Arbeit Schinkels. Nach dessen Tod 1841 war sein Schüler Ferdinand Martius für den Bau verantwortlich. Den umliegenden Park gestaltetete der berühmte Gartenarchitekt Peter-Joseph Lenné. Bedingt durch politische Wirren, die Trennung Mariannes von ihrem Mann und den deutsch-französischen Krieg zog sich der Bau über 35 Jahre hin. Marianne schenkte das Anwesen 1873 ihrem Sohn Albrecht zu dessen Hochzeit. Das mächtige Schloss wurde 1945 von sowjetischen Truppen geplündert und später durch Brandstiftung teilweise zerstört. Erst seit den 1970er Jahren liefen erste Sicherungsarbeiten, später begann ein Privatbesitzer mit der Restaurierung, die sich aber ähnlich wie der eigentliche Bau in die Länge ziehen.

Eine weitere Station auf der Marianne-Route ist die ehemalige Goldgräberstadt Złoty Stok (Reichenstein) mit seiner Mariannenquelle, dem Bergwerksmuseum und den eindrucksvollen Ruinen der Kalkbrennerei, in der die Ziegel für Schloss Camenz hergestellt wurden. Auf dem Śnieżnik, dem Glatzer Schneeberg, befindet sich eine urige Berghütte. Den Weg dorthin ließ Marianne anlegen, die erstmals 1840 mit ihrem Vater den Berg bestiegen hatte. Bei Stara Morawa (Alt Mohrau) kann man einen historischen Kalkbrennofen besichtigen, der von Karl-Friedrich Schinkel projektiert wurde. Heute befindet sich in seinem Inneren eine Kunstgalerie. Auf der Routegibt es weitere historische Bauten, darunter Kirchen und Armenhäuser, die von der Oranier-Prinzessin gestiftet wurden.

Infos: Kamieniec Ząbkowicki liegt eine knappe Autostunde südlich von Wrocław. Im Schloss gibt es einige sehr einfache Unterkünfte und ein Café. Im Ort befidnet sich eine Zisterzienserkirche, die Umgebung ist überaus reich an Sehenswürdigkeiten. Informationen über die Region unter www.turystyka.dolnyslask.pl   Allgemeine Auskünfte über Reisen nach Polen beim Polnischen Fremdenverkehrsamt in Berlin, www.polen.travel(Polnisches Fremdenverkehrsamt)



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